Die Tugend der heiligen Reinheit

Donnerstag, den 02. Februar 2017 um 14:46 Uhr
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"Ein Ding ist nur dann gut, wenn es beständig diesen Namen behauptet, abgesehen von jeder Vergleichung, ich sage nicht mit etwas Schlechtem, sondern sogar mit einem anderen Guten, so daß es, auch wenn es mit einem anderen Guten verglichen und danach skizziert wird, nichtsdestoweniger die Benennung "Gut" behält. Wofern es aber erst durch Vergleich mit etwas Schlechtem sich die Benennung "Gut" erzwingt, so ist es nicht sowohl ein Gut, als vielmehr ein Übel geringerer Art, das, von einem größeren Übel überholt, zur Benennung "Gut" gelangt. Dann frage ich, ob man sich erkühnen möchte, zu sagen: "Heiraten ist besser", ohne hinzuzusetzen, in Vergleich womit es besser ist. Was also dann nicht mehr etwas Besseres ist, das ist sicherlich nicht einmal mehr gut, weil du den Vergleich beseitigt und hinweggenommen hast, welcher  jenes Ding dadurch gut macht, daß er nötigt, es für etwas Besseres zu halten." Tertullian

Das vermeintliche Bedürfnis kann mit der größten Leichtigkeit eingeschränkt werden, wenn man mehr den Willen Gottes im Auge haben will als seine bloße Zulassung. Niemand erwirbt sich ein Verdienst, wenn er von der bloßen Nachsicht Gottes Gebrauch macht, sondern nur durch Befolgung seines Willens. "Das ist der Wille Gottes, unsere Heiligung" ( Thess. 4,3.). Er will nämlich, daß wir, sein Ebenbild, Ihm auch ähnlich werden, so daß "wir heilig sind, wie Er heilig ist".

Dieses Gut, die Heiligung, teile ich in mehrere Arten ein, damit wenigstens eine derselben bei uns angetroffen werde. Die erste Art ist die Jungfrauschaft von der Stunde der Geburt an; die zweite ist die Jungfrauschaft von der Wiedergeburt, d. i. von der Taufe an, welche entweder in der Ehe Reinigkeit herbeiführt infolge einer Übereinkunft oder im Witwenstande verharren macht aus freiem Willen. Als dritte Art bleibt dann noch übrig die einmalige Ehe, wenn man nämlich nach Zerreißung der einen Ehe von da an dem anderen Geschlechte entsagt.

Die erste Art der Jungfrauschaft, dasjenige gar nicht kennen zu lernen, wovon man später Befreiung wünscht, ist ein seliger Zustand; die zweite Art, das zu verachten, dessen Macht man sehr gut kennt, ist Sache der Tugendstärke; die letzte aber, nach Zerreißung der Ehe durch einen Todesfall nicht mehr zu heiraten, ist Sache der Tugend und zugleich ein Verdienst der Resignation. Resignation nämlich ist es, das, was einem weggenommen wurde, nicht mehr zurückverlangen. Und zwar ist es weggenommen durch Gott den Herrn, ohne dessen Willen weder ein Blatt vom Baume, noch ein Sperling, der nur einen Pfennig wert ist, zur Erde fällt. Wenngleich bei solchen Ereignissen ein jeglicher für sich mit seinem Glauben zu Rate gehen und dessen Stärke befragen muß, so wird doch gerade in diesem Falle das Nachdenken durch das niedere Bedürfnis beeinflußt, dieses aber widerstrebt in der Regel in einem und demselben Herzen dem Glauben, und daher bedarf letzterer des Rates von außen, gleichsam wie eines Sachwalters, gegenüber den niederen Bedürfnissen.

Wie resigniert lautet die Äußerung: "Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen; wie es dem Herrn gut schien, so ist es geschehen"( Job 1,21.). Knüpfen wir das gerissene Eheband von neuem wieder an, so gehen wir also ohne Zweifel gegen den Willen Gottes an und wollen wiederum besitzen, wovon er will, daß wir es nicht besitzen sollen. Denn wenn er wollte, daß wir es besäßen, so würde er es uns ja nicht weggenommen haben. Es müßte denn sein, wir stellten uns den Willen Gottes so vor, daß er abermals wollen könne, was er schon nicht mehr wollte. Es verträgt sich nicht mit dem echten und soliden Glauben, in der Weise alles auf den Willen Gottes zurückzubeziehen und so jedem zu Gefallen zu sein, daß man sagt, nichts geschehe ohne Gottes Geheiß, und dabei übersieht, daß ja auch etwas auf uns ankommt. Sonst würde jedes Verbrechen seine Entschuldigung finden, wenn wir behaupten wollten, wir täten gar nichts ohne den Willen Gottes, und es würde eine solche Behauptung zur Auflösung der gesamten Sittenzucht, ja zur Vernichtung Gottes selbst führen; wenn er Dinge ausführte, die sein eigener Wille nicht will, oder wenn es gar nichts gäbe, was Gott nicht will. Wie könnte er dann gewisse Dinge verbieten und für sie sogar eine ewige Pein androhen? Was er verbietet, das kann er natürlich nicht wollen, sondern wird dadurch sogar beleidigt; wie er denn auf der anderen Seite das, was er will, vorschreibt, wohlgefällig aufnimmt und es mit ewiger Belohnung vergilt.

Wenn wir so aus seinen Vorschriften beides erkannt haben, was er will und was er nicht will, so bleibt uns doch unser freier Wille und die Selbstbestimmung, das eine oder das andere zu wählen, wie geschrieben steht: "Siehe, ich habe dir vorgelegt Gutes und Böses" (Eccles. 15,18.); denn du hast ja gegessen vom Baume der Erkenntnis, Darum dürfen wir, was unserm freien Willen anheimgegeben ist, nicht auf Rechnung des Willens Gottes setzen, weil es hinsichtlich dessen, was gut ist, bei ihm, der das Böse nicht will, ein Wollen oder Nichtwollen nicht gibt. Wenn wir daher etwas dem göttlichen Willen, der nur das Gute will, Widersprechendes wollen, so ist das unser Wille, Fragt man nun weiter, woher kommt dieser unser Wille, kraft dessen wir etwas dem göttlichen Willen Widersprechendes wollen, so werde ich antworten: Aus uns selbst.

Mithin wirst auch du, wenn du Gott, der dich nach Vorlegung seines Gebotes mit Freiheit erschaffen hat, nicht gehorchst, vermöge der Freiheit deines Willens freiwillig zu dem abweichen, was Gott nicht will, und so mußt du dich für einen vom Teufel Verführten halten, während er doch, obschon er wünscht, daß du etwas wollest, was Gott nicht will, doch nicht bewirkt, daß du es wollest. Denn er bezwang ja auch damals die Erstgeschaffenen nicht in der Weise, daß sie die Übertretung wollten, ja sie waren weder ohne den Willen noch ohne die Kenntnis dessen, was Gott nicht wollte. Denn Gott hatte es jedenfalls nicht gewollt, da er für die begangene Tat den Tod bestimmte. So vermag der Teufel nur eins zu tun: Dich zu versuchen, ob du willst, weil das Wollen bei dir steht. Sobald du aber gewollt hast, so folgt, daß er dich sich unterwirft; indem er in dir zwar nicht das Wollen bewirkt, aber doch eine Gelegenheit für den Willen gefunden hat. Da also das Wollen bei uns allein steht und darin eben unsere Gesinnung gegen Gott erprobt wird, ob wir das wollen, was mit seinem Willen übereinstimmt, so muß man, behaupte ich, tief und eindringlich über den Willen Gottes nachdenken, was derselbe etwa im Verborgenen noch begehren könne.

Seinen geoffenbarten Willen kennen wir alle, und bei ihm ist nur zu untersuchen, in welcher Weise er offenbar geworden ist. Denn obwohl es Dinge gibt, welche dem Willen Gottes genehm erscheinen, indem sie von ihm nachgesehen werden, so geht doch nicht sogleich alles, was erlaubt wird, aus dem reinen und vollen Willen des Erlaubenden hervor. Wenn eine Erlaubnis gegeben wird, so bedingt dies ein Nachgeben (1 Kor. 7,6.), Dieses geschieht zwar nicht ohne Beteiligung des Willens, aber weil für denselben irgend ein Motiv in der Person dessen, der die Nachsicht erhält, vorliegt, so kommt die Nachgiebigkeit von einem sozusagen unwilligen Willen, da sie sich ein Motiv gefallen lassen muß, welches den Willen zwingt. Aber siehe zu, was für ein Wollen das sein kann, wovon etwas anderes die Ursache ist!

Die zweite Art, der reine Wille, ist ebenfalls zu betrachten. Gott will, daß wir gewisse, ihm wohlgefällige Dinge tun. Dabei ist nicht die Nachsicht unsere Beschützerin, sondern die Sittenlehre unsere Gebieterin. Wenn er nun desungeachtet anderen Dingen vor diesen den Vorzug gegeben hat, natürlich nur solchen, welche er lieber will, kann es dann wohl zweifelhaft sein, daß wir das befolgen müssen, was er lieber will? Denn das, was er weniger gern will, ist eben deswegen, weil er das andere lieber will, so anzusehen, als wenn er es gar nicht wollte. Wenn er zu erkennen gegeben hat, was er lieber will, so hat er damit den untergeordneten Willen durch den höheren aufgehoben. In dem Grade, wie er beides dir zur Kenntnis vorgelegt hat, ist es seine bestimmte Anordnung, daß du das befolgen sollst, wovon er angezeigt hat, daß er es lieber will. Wenn er sich also in der Absicht erklärt hat, damit du dich nach dem richtest, was er lieber will, so ist, wenn du es nicht tust, deine Gesinnung ohne Zweifel seinem Willen entgegen. Sie ist nämlich gegen seinen höheren Willen gerichtet, und du beleidigst ihn mehr, als daß du ihn dir geneigt machst; denn du tust zwar, was er will, verschmähst aber das, was er lieber sähe. Einerseits begehst du eine Sünde; anderseits erwirbst du dir, wenn du keine Sünde begehst, doch seine Gunst nicht. Und nun - seine Gunst nicht verdienen wollen, ist denn das keine Sünde? - Wenn sich also die zweite Ehe auf jene Art des Willens Gottes gründet, den man Nachsicht nennt, so würden wir den reinen Willen Gottes, dem erst eine Ursache eingeräumt werden muß, negieren, wenn wir nicht aus dem Willen, vor dem eine andere auf eine vorzüglichere Enthaltsamkeit gerichtete Willensoffenbarung den Vorzug erhält, gelernt haben, daß der weniger gute durch den vorzüglicheren aufgehoben wird.

So viel möchte ich vorausgeschickt haben, um nunmehr die Aussprüche des Apostels durchzugehen. Zuvörderst glaube ich nicht, die Ehrerbietung zu verletzen, wenn ich eine Bemerkung, die er selbst von sich macht, vorausschicke, nämlich die, er habe jede Nachsicht hinsichtlich der Ehen nur auf Grund seiner eigenen, d. i. einer menschlichen Meinung, nicht kraft göttlicher Vorschrift eingeführt. Denn auch da, wo er über die Witwen und Unverehelichten die Bestimmung gibt, daß sie heiraten sollen, wenn sie nicht enthaltsam sein können, weil heiraten besser sei, als Brunst empfinden, wendet er sich zu der ändern Klasse und sagt: "Den Verheirateten aber verkündigte nicht ich, sondern der Herr" (1 Kor. 7,10.). So gibt er durch den Übergang von seiner Person zu der des Herrn zu erkennen, daß er das Vorausgegangene: "Es ist besser zu heiraten als Brunst zu leiden", nicht in der Person des Herrn, sondern in seiner eigenen gesprochen habe (1 Kor. 7,12.). Obwohl sich dieser Ausspruch nur auf die bezieht, welche die Gnade des Glaubens im Stande der Ehelosigkeit oder Witwenschaft trifft, so möchte ich mich, weil sich alle an besagte Erlaubnis, zu heiraten, anklammern, doch darüber auslassen, wie hoch in der Meinung des Apostels ein Gut stehen dürfte, welches besser ist als eine Strafe und nur dann als gut aufzutreten vermag, wenn es mit dem Schlimmsten verglichen wird, so zwar, daß das Heiraten nur deshalb ein Gut ist, weil Brunst leiden noch schlimmer ist.

Ein Ding ist nur dann gut, wenn es beständig diesen Namen behauptet, abgesehen von jeder Vergleichung, ich sage nicht mit etwas Schlechtem, sondern sogar mit einem anderen Guten, so daß es, auch wenn es mit einem anderen Guten verglichen und danach skizziert wird, nichtsdestoweniger die Benennung "Gut" behält. Wofern es aber erst durch Vergleich mit etwas Schlechtem sich die Benennung "Gut" erzwingt, so ist es nicht sowohl ein Gut, als vielmehr ein Übel geringerer Art, das, von einem größeren Übel überholt, zur Benennung "Gut" gelangt. Fort überhaupt mit dem Vergleiche, zu sagen: "Heiraten ist besser als Brunst leiden!" Dann frage ich, ob man sich erkühnen möchte, zu sagen: "Heiraten ist besser", ohne hinzuzusetzen, in Vergleich womit es besser ist. Was also dann nicht mehr etwas Besseres ist, das ist sicherlich nicht einmal mehr gut, weil du den Vergleich beseitigt und hinweggenommen hast, welcher  jenes Ding dadurch gut macht, daß er nötigt, es für etwas Besseres zu halten.

Niemand möge also aus der angeführten Stelle eine Verteidigung für sich herleiten. Sie bezieht sich eigentlich auf die Unverheirateten und Witwen, bei denen sich überhaupt noch gar keine Verbindung angeben läßt. Doch ich möchte auch hinsichtlich dieser dartun, daß bei ihnen der Fall einer bloßen Erlaubnis als vorhanden anzunehmen sei.

Übrigens aber wissen wir in betreff der zweiten Ehe, daß der Apostel mit unumwundenen Worten gesagt hat: "Bist du von der Gattin gelöst, so suche keine Gattin wieder: allein wenn du eine nimmst, so sündigst du nicht" (Vgl. 1 Kor. 7,25ff.). Auch die in diesem Ausspruch enthaltene Anordnung hat er ebenfalls nur kraft seines eigenen Dafürhaltens, nicht kraft einer göttlichen Vorschrift eingeführt. Zwischen einer göttlichen Vorschrift und dem Dafürhalten eines Menschen ist aber ein großer Unterschied, "Eine Vorschrift des Herrn", sagt er, "habe ich nicht, einen Rat aber gebe ich, wie einer, der vom Herrn Barmherzigkeit erlangt hat, im Glauben treu zu sein." Sonst wird man weder im Evangelium noch in den Briefen Pauli selbst eine Stelle finden, wo kraft einer göttlichen Vorschrift die Wiederholung der Ehe erlaubt würde. Mithin bestätigt es sich, daß man nur eine einzige schließen darf. Denn das, wozu sich nicht seitens des Herrn eine Erlaubnis gegeben findet, kennzeichnet sich als verboten. Dazu kommt noch, daß auch dieser bloß menschliche Rat, der da miteingeflossen ist, sich sofort, als wäre er über sein eigenes Vorgehen bedenklich geworden, wieder selbst beschränkt und widerruft, wenn Paulus sofort bemerkt: "Aber solche werden die Bedrängnis des Fleisches empfinden"; wenn er sagt, "daß er ihrer schone"; wenn er hinzufügt, "die Zeit sei verkürzt, weshalb diejenigen, welche in der Ehe leben, so sein müßten, als lebten sie nicht darin", und wenn er die Sorgen der Verheirateten mit denen der Unverheirateten in Vergleich stellt (1 Kor. 7,30-34.). Indem er so die Gründe darlegt, warum das Heiraten nicht nützlich sei, rät er wieder von dem ab, was er oben gestattet hatte. Das gilt schon hinsichtlich der erstmaligen Verheiratung, wieviel mehr noch hinsichtlich der zweiten! Wenn er uns aber ermahnt, seinem Beispiele zu folgen, indem er zu erkennen gibt, wie er uns zu sehen wünscht, d. h. enthaltsam, so erklärt er damit, wie er uns nicht zu sehen wünscht, nämlich unenthaltsam. Also auch er gibt, indem er etwas anderes wünscht, die Erlaubnis zu dem, was er nicht wünscht, weder aus freiem Antrieb noch in Wirklichkeit, Denn wenn er das andere wollte, so hätte er es nicht bloß erlaubt, sondern befohlen.

Allein siehe da, er erlaubt doch wiederum, daß ein Weib, nachdem ihr Mann gestorben, heiraten könne, wenn sie wolle, aber nur im Herrn. "Seliger aber", sagt er, "wird sie sein, wenn sie so bleibt nach meinem Rate. Ich glaube aber, ich habe auch den Geist Gottes" (1 Kor. 7,40.). Wir sehen da der Ratschläge zwei: den, wonach er oben das Heiraten gestattet, und den, wodurch er hinterher die Enthaltung vom Heiraten lehrt. Welchem sollen wir also, fragst du nun, zustimmen? Schau her und lies! Wo er bloß gestattet, da beruft er sich auf einen bloß menschlichen, weisen Rat, wo er aber die Enthaltsamkeit proklamiert, da behauptet er, daß es der Rat des Hl, Geistes sei, Folge du dem Rate, auf dessen Seite die Gottheit steht! Den Geist Gottes, den haben zwar auch die Gläubigen (Vgl. 1 Kor. 7,25); aber nicht alle Gläubige sind Apostel. Und so hat er denn die Autorität des Hl. Geistes bei dem Falle hinzutreten lassen, welchem wir, wie es sein Wunsch ist, lieber gehorchen sollen, und es ist damit schon nicht mehr ein bloßer Rat des Hl. Geistes, sondern, entsprechend der Majestät desselben, eine Vorschrift daraus geworden.

Um das Gesetz, nur einmal zu heiraten, zu errichten, dazu hilft die Entstehung des Menschengeschlechtes selbst, welche Zeugnis davon gibt, was Gott von Uranfang als für die Nachkommenschaft zu beherzigende Ordnung festgestellt habe. Daher haben Adam, der gottgeschaffene Mann, und Eva, das gottgeschaffene Weib, in einmaliger Ehe miteinander lebend, der Menschheit die Ordnung vorgezeichnet und bestimmt, kraft der Autorität ihrer Entstehungsweise und kraft des uranfänglichen Willens Gottes. Darum heißt es auch: "Sie werden zwei sein in einem Fleische" (1 Mos. 2,24; Eph. 5,31), nicht drei oder vier. Andernfalls wären sie schon nicht mehr ein Fleisch und auch nicht zwei zu einem Fleische. Sie werden es aber sein, wenn die Verbindung und Vermischung in der Einheit nur einmal geschieht. Geschieht sie wiederholt und mehrfach, so wird die Einheitlichkeit aufhören, und sie werden bereits nicht zwei sein zu einem Fleische, sondern eine Rippe in mehreren Teilen.

Wenn der Apostel die Stelle: "Sie werden zwei sein zu einem Fleische" auf die Kirche und auf Christus deutet gemäß der geistigen Ehe zwischen Christus und der Kirche - denn Christus ist nur einer und seine Kirche nur eine, - so müssen wir einsehen, daß das Gesetz von der Einmaligkeit der Ehe daraus doppelte Stärke gewinnt, einmal infolge der Entstehung unseres Geschlechtes, zweitens infolge der christlichen Glaubenslehre. Aus einer einmaligen Ehe stammen wir beide Male, sowohl in leiblicher Hinsicht bei Adam als in geistiger bei Christus. Für die beiden Geburten ist das Gesetz dasselbe, die Monogamie; in beiden entartet, wer über die Monogamie hinausgeht.

Aber die gebenedeiten Patriarchen, wendest du ein, hatten nicht nur mit mehreren Gattinnen geschlechtliche Verbindungen, sondern sogar mit Konkubinen; folglich wird es auch uns freistehen, mehrere Male zu heiraten. - Jawohl, es wird uns freistehen, wofern jetzt noch Typen, geheimnisvolle Andeutungen auf irgend welche zukünftige Dinge übrig sind, für welche deine Heiraten als Vorbilder dienen sollen, oder dann, wenn jetzt der Ausspruch: "Wachset und mehret euch" noch am Platze ist, d. h. wenn der andere Ausspruch noch nicht dazwischen getreten ist: "Die Zeit ist bereits verkürzt, und es bleibt nur noch übrig, daß die, welche Eheweiber haben," so leben, als hätten sie keine". Dieser Ausspruch legt dann noch in jedem Falle die Enthaltsamkeit nahe, schränkt die Beiwohnung, welche die Aussaat zu neuen Geburten ist, ein und hat das: "Wachset und mehret euch" abrogiert. Mich dünkt, beide Aussprüche und beide Anordnungen rühren von einem und demselben Gott her, der damals zu Anbeginn die Saat des Menschengeschlechtes ausstreute und den ehelichen Verbindungen allerdings die Zügel schießen ließ bis zu der Zeit, wo der Erdkreis angefüllt und ein hinreichendes Material für die neue Zucht und Lehre herangediehen wäre. Jetzt, in diesen letzten Zeiten, hat er, was er freigegeben, wieder eingeschränkt, und was er nachgelassen, wieder an sich gezogen, nicht ohne Rücksichtnahme auf die nötige Ausbreitung zu Anfang und die Beschränkung am Ende. Es ist Regel, daß anfangs freier Spielraum gegeben wird. Wer einen Wald angelegt hat, läßt ihn auch wachsen, um ihn zu seiner Zeit abzuholzen. Ein solcher Wald war die frühere Anordnung, und er wird in dem neuen Evangelium, wo "die Axt an die Wurzel gelegt ist", abgehauen. So ist auch das: "Auge um Auge", "Zahn um Zahn" veraltet, seitdem das andere Wort ins Leben getreten ist: "Niemand vergelte Böses mit Bösem" (Röm. 12,17.). Auch bei menschlichen Konstitutionen und Dekreten, dünkt mich, haben die späteren vor der früheren Geltung.

Es steht geschrieben: "Auch uns hat er zu einem Reiche und zu Priestern für Gott und seinen Vater gemacht" (Offenb. 1,6.). Der Unterschied zwischen den Ordinierten und dem Volk ist durch die Autorität der Kirche festgestellt und ihr Rang durch das Zusammensitzen der Ordinierten geheiligt worden. Denn wo es kein Zusammensitzen der Ordinierten der Kirche gibt, da opferst du und taufst du und bist Priester für dich allein. Aber wo drei sind, da ist eine Gemeinde, wenn es auch nur Laien sind. Jeder einzelne nämlich hat das Leben durch seinen Glauben, und Gott macht keine Ausnahme in betreff der Personen, da nicht die bloßen Hörer des Gesetzes von Gott gerechtfertigt werden, sondern die Vollzieher, gemäß dem Ausspruche des Apostels (Röm. 2,13.). Wenn du also, wo ein Notfall vorhanden ist, das Recht des Priesters besitzest, so mußt du für die Notfälle, die vorkommen, das Recht des Priesters auszuüben, auch die Sittenzucht des Priesters beobachten. Willst du nun als Digamus taufen? Laß dich also nicht als Digamus finden, und du wirst keinen Fehler begehen, gegen die Notwendigkeit zu verrichten, was einem Digamus nicht gestattet ist. Gott will, daß wir alle so beschaffen sind, daß wir überall seine Geheimnisse zu begehen geeignet seien. Es gibt nur einen Gott und einen Glauben, und die Sittenzucht ist auch nur eine. Wenn also nicht auch die Laien immerfort das befolgen, um dessentwillen man zum Priester ausgewählt wird, wie sollte es denn Priester geben, da sie doch aus den Laien gewählt werden? Also müssen wir dafür eintreten, daß dem Laien zuerst befohlen sei, sich der zweiten Ehe zu enthalten, da niemand anders Priester werden kann, als ein Laie, der nur einmal verheiratet gewesen ist.

Es ist ein großer Unterschied zwischen dem Erlaubten und dem Heilsamen. Beim wahrhaft Guten heißt es nicht: "Man darf", weil das Gute nicht erst auf eine Erlaubnis zu warten hat, sondern auf Annahme. Das Erlauben aber hat bei dem statt, wovon es zweifelhaft ist, ob es gut sei, bei dem, was allenfalls auch nicht erlaubt werden könnte, wenn es an einem primären Beweggrunde fehlt. Die zweitmalige Verheiratung wird wegen der Gefahr der Unenthaltsamkeit gestattet. Wenn gar keine Gestattung von Dingen, die nicht gut sind, vorkäme, so würde es auch an Gelegenheiten fehlen, woran man erkennen kann, wer dem göttlichen Willen und wer seinem eigenen Antriebe folgt, wer von uns auf das Nützliche bedacht ist und wer sich die Gelegenheit der Nachsicht zunutze macht. Nachsicht ist in den meisten Fällen eine Versuchung für die Sittlichkeit, weil die Sittlichkeit sich durch Versuchung bewährt, die Versuchung aber sich der Nachsicht als Mittel bedient. So kommt es, daß "alles freisteht, aber nicht alles nützt" (1 Kor. 6,12.)., denn wer die Erlaubnis bekommt, wird versucht, und wer sich durch die Erlaubnis versuchen läßt, der wird verurteilt. Auch den Aposteln hätte es freigestanden, zu heiraten und Eheweiber mit sich herumzuführen. Es hätte ihnen auch freigestanden, vom Evangelium ihren Unterhalt zu haben (1 Kor. 9, 5 u. 14). Allein der, welcher dieses seines Rechtes bei der gegebenen Gelegenheit sich nicht bediente, der verweist uns damit auf sein Beispiel, indem er uns belehrt, daß eine Prüfung in dem liege, wobei die erteilte Erlaubnis uns eine Probe der Enthaltsamkeit vorbereitet hat.

Wollen wir seine Meinung vollständig wiedergeben, so wäre die zweite Ehe als eine Art von Hurerei zu bezeichnen, nicht anders. Da er nämlich sagt, die Verheirateten seien nur darauf bedacht, wie sie einander gefallen - natürlich nicht in sittlicher Hinsicht; denn eine solche löbliche Bedachtnahme würde er nicht getadelt haben, - so will er damit sagen, sie nehmen auf Putz, Schmuck und jegliche Pflege der äußeren Erscheinung Bedacht, zum Zwecke, sinnlichen Reiz hervorzurufen. Durch die äußere Erscheinung aber und den Putz zu gefallen, das ist ein Kunstgriff der fleischlichen Begierlichkeit, welche auch zur Hurerei führt. Scheint dir denn die zweite Ehe nicht etwas der Hurerei Verwandtes, da man bei ihr Erscheinungen findet, welche eigentlich der Hurerei eigentümlich sind? Der Herr selbst sagt: "Wer ein Weib ansieht, um ihrer zu begehren, der hat in seinem Herzen bereits Hurerei mit ihr getrieben" (Matth. 5, 28.). Wer sie aber ansieht, in der Absicht, sie zum Weibe zu nehmen, tut der etwas Größeres oder etwas Geringeres? Wie, wenn er sie nun gar noch nimmt? Er würde das unterlassen, wenn er ihrer nicht schon zur Ehe begehrt und sie, um ihrer zu begehren, angesehen hätte. Ohne das ist es ja nicht möglich, eine Frau zu nehmen, ohne sie angesehen und ihrer begehrt zu haben. Freilich ist es ein großer Unterschied, ob man als Ehemann oder als Eheloser das Weib eines anderen anschaut. Für den Ehelosen aber ist jedes Weib ein anderes, so lange es ein ihm fremdes ist. und sie wird durch den nämlichen Akt zum Eheweibe, wodurch sie zu einer Ehebrecherin wird. Wie es scheint, begründen nur die Gesetze die Verschiedenheit zwischen Ehe und Hurerei, vermöge des Unterschiedes im Unerlaubten, nicht wegen der Beschaffenheit der Sache an sich. Was dient denn übrigens bei Mann und Weib zum Vollzug der Ehe wie der Hurerei? Nur die fleischliche Vereinigung, wonach zu verlangen der Herr der Hurerei gleich erachtet.

Man wendet mir ein, die Folge davon wäre die Beseitigung auch schon der ersten Ehe, - Nicht ganz mit Unrecht, Denn auch sie basiert auf demselben Akte wie die Hurerei, Darum ist es das beste für den Menschen, kein Weib zu berühren, und darum ist die Heiligkeit der Jungfrau die vorzüglichste, weil sie jeder Verwandtschaft mit der Hurerei fern steht. Da diese Momente sogar schon bei der ersten und einzigen Ehe zur Verteidigung der Enthaltsamkeit geltend gemacht werden können, um wieviel mehr werden sie ein Präjudiz bilden zur Verwerfung der zweiten! Zeige dich dankbar, wenn Gott dir das Heiraten einmal nachgesehen hat! Du wirst aber dankbar sein, wenn du an eine abermalige Nachsicht seinerseits für dich nicht denkst, du mißbrauchst dagegen die Nachsicht, wenn du dich ihrer ohne die nötige Mäßigung bedienst. Mäßigung ist abzuleiten von Maß, Es genügt dir noch nicht, von jener obersten Stufe, der unbefleckten Jungfrauschaft, durch dein Heiraten auf die zweite zurückgetreten zu sein, sondern du sinkst, nachdem du auf der zweiten Station nicht enthaltsam gewesen bist, auch noch auf die dritte und vierte und vielleicht noch weiter hinab.

Entsagen wir den fleischlichen Dingen, um endlich einmal geistige Früchte zu bringen!

Der Apostel hat auch einer zeitweiligen Reinheit erwähnt, zum Zwecke, dem Gebete mehr Empfehlung zu geben; damit wir erkennen, daß, was eine Zeitlang geübt nützt, beständig von uns zu üben sei, damit es beständig nütze. Tagtäglich, jeden Augenblick ist das Gebet den Menschen notwendig, natürlich auch die Enthaltsamkeit, nachdem das Gebet einmal notwendig ist. Das Gebet geht aus dem Herzen hervor. Wenn das Herz aus Scham errötet, so errötet auch das Gebet, Der Geist geleitet das Gebet zum Herrn, Wenn der Geist sich vor sich selbst schuldig fühlt, wie wird er sich erkühnen, das Gebet eines beschämten Herzens zum Altare zu geleiten; denn bei dessen Beschämung errötet er auch selbst, der heilige Diener.

Es ist ein prophetischer Ausspruch des Alten Testamentes: "Seid heilig, weil Gott heilig ist" (3 Mos. 11,44; 19,2; 1 Petr. 1,16.) und wiederum: "Mit dem Heiligen wirst du heilig sein, mit dem unschuldigen Manne wirst du unschuldig sein und mit dem Auserwählten auserwählt"( Ps. 17,26.). Wir müssen in die Zucht des Herrn eintreten, wie es würdig ist, nicht mit den schmutzigen Begierden des Fleisches. So sagt denn auch der Apostel: "Nach dem Fleische gesinnt sein, das sei der Tod, nach dem Geiste aber gesinnt sein, das ewige Leben in Christo Jesu, unserem Herrn" (Röm. 8,6.). Ebenso ergeht durch die heilige Prophetin Priska die evangelische Verkündigung, "daß ein heiliger Diener mit Heiligkeit zu dienen verstehen solle". "Denn Läuterung", spricht sie, "steht wohl an; sie sehen Gesichte, und wenn sie ihr Antlitz senken, so vernehmen sie auch deutliche Stimmen, die ebenso heilbringend sind als tief verborgen." Wenn nun die Abstumpfung, die selbst dann erfolgt, wenn der fleischliche Verkehr in einer einmaligen Ehe ausgeübt wird, den Hl. Geist fernhält, um wieviel mehr wird dies bei einer zweiten Ehe der Fall sein. Daraus muß man die Überzeugung schöpfen, daß diejenigen, welche Aufnahme ins Paradies erhalten wollen, endlich einmal von dem ablassen müssen, wovon das Paradies unberührt ist. Gnade also sei mit dem, der es einsieht! Gedenke in deinen Gebeten des Tertullian, der hierzu ermahnt.

Fragmente aus "Über die Aufforderung zur Keuschheit" Tertullian († um 220)

Quelle: Bliothek der Kirchenväter