Orthodoxes Treffen - 2010

Sonntag, den 05. September 2010 um 22:40 Uhr
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Die Themen von 2001-2018 /- Anmeldeformular - / - Seminarvorträge -

Unser orthodoxes Treffen begann in diesem Jahr wie gewöhnlich um 15 Uhr am 26. Dezember, das war ein Sonntag. Es gab über 100 ständige Teilnehmer, aber ohne Liste, genauer gesagt, per Internet und Telefon hatten sich etwa 70 angemeldet, außer diesen nahmen aber auch diejenigen teil, die in der Nähe wohnen und keine Übernachtungen brauchen. Jedenfalls rechnete die Schwesternschaft für das Essen mit jeweils 120 Personen. Manche Teilnehmer waren bereits früher eingetroffen, um an den Gottesdiensten des Samstags und Sonntags teilzunehmen. Unsere Klöster nahmen 40 Personen zur Übernachtung auf, aber in dem Maß wie unsere Klöster wachsen, gibt es weniger Plätze – soll man hier etwa „leider“ sagen, oder nicht doch eher „Gott sei Dank“! Die übrigen Teilnehmer wurden von verschiedenen Gemeindemitgliedern aufgenommen, nicht zuletzt – sehr aufopferungsvoll – von unserer Studentenjugend. Das heißt allerdings nicht, dass in der Frage der Unterbringung keinerlei Unruhe entstand… zu guter Letzt waren aber alle untergebracht. Im übrigen, hier hatte das Wetter etwas nachgeholfen – aufgrund von Schneefall und Glatteis verzichteten manche im letzten Augenblick auf die weite Reise.

Wie immer wurde zu Beginn ein Bittgottesdienst gesungen. Dann eröffnete S. E. Mark, der Erzbischof von Berlin und Deutschland, das Treffen. Er hielt auch den ersten Vortrag: «Die Lage der Orthodoxen Kirche in Deutschland – Vergangenheit und Perspektiven». Da die meisten Teilnehmer Neuankömmlinge in unserer Diözese waren, widmete Vladyka den größeren Teil seines Vortrags einer historischen Übersicht, und zeigte damit, wie wertvoll für ihn die ungebrochene Tradition des orthodoxen kirchlichen Lebens in Deutschland ist. Er sprach über die Erfahrung der ersten und zweiten Welle der Emigration, die hier Gemeinden nach der Revolution und nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet hatte.
Erzbischof Mark unterstrich insbesondere, dass wir uns heute auf das gründen, was einst - oftmals in Armut und Not - von unseren Vätern als festes Fundament in Deutschland gelegt wurde, unter anderem in den Beziehungen mit dem Staat, und dies nicht zuletzt in der Frage der Anerkennung des orthodoxen Religionsunterrichts. All das liegt in unserer Verantwortung, was die weitere Entwicklung betrifft. Zugleich aber wies er auch darauf hin, dass ungeachtet all jener Bemühungen eine sehr große Zahl der Jugend seinerzeit verloren ging und durch Assimilierung in der deutschen Gesellschaft sich auflöste. Der erste Wunsch unseres Erzbischofs besteht deshalb darin, dass die jetzigen Eltern den Wert der Orthodoxie erkennen sollen, sowie den Wert der russischen und der kirchenslawischen Sprache, und helfen sollen, ihren Kindern diesen Reichtum zu erschließen. Mit großem Schmerz hielt Erzbischof Mark, selbst ein perfekt Russisch sprechender Deutscher, fest, dass es vielen von denen, die in den letzten zwei Jahrzehnten nach Deutschland gekommen sind, nicht gelingt, die russische Sprache zu bewahren. Daraus folgt: wenn im Laufe der 1980er Jahre die deutsche Sprache in der Orthodoxie Einzug hielt, die letzten 20 Jahre hingegen eine Welle russischsprachiger Menschen in die Kirche kam, so ist dies doch ein zeitlich begrenztes Phänomen, so dass wir, zur Bewahrung der Orthodoxie in diesem Land, von Neuem die deutsche gottesdienstliche Sprache und entsprechende Übersetzungen entwickeln müssen. Andernfalls hätte die nächste Generation (wie schon heute sichtbar wird) das Argument: „Wir verstehen nichts in der Kirche“. Die Lesungen des Apostels und des Evangeliums sowie einer Bittektenie werden bereits parallel zum Kirchenslawischen praktiziert. Nach Einschätzung von Vladyka ist es völlig unzulässig, dieses Problem der Entfernung vieler von der russischen und slawischen Sprache zu ignorieren, wobei es zugleich unsere Pflicht ist, denen, die die Gabe dieser Sprachen bewahren können, hierbei beizustehen. Vladyka erwähnte auch, dass eine Übersetzungskommission, die aus Vertretern verschiedener Landeskirchen in Deutschland besteht, eine neue Übertragung der Göttlichen Liturgie ins Deutsche vorgelegt hat. Dies sei aber ein vorläufiges Ergebnis, das durchaus noch in der Gebetspraxis zu überprüfen ist. Übersetzungen anderer Texte sollten folgen.
Mit tiefem Schmerz vermerkte Vladyka auch die konfliktträchtige Atmosphäre unter den Neuangekommenen. Es scheint, - so die Meinung von Erzbischof Mark - dass die ältere Generation, die einen anderen Stil pflegt, bei uns nicht zahlreich genug vertreten ist, um die einstige Atmosphäre der Gemeinschaft weiterzugeben, die durch die gewachsene Kommunikation der ersten und der zweiten Welle der Emigration auch dem Wachstum der Orthodoxie in diesem Land dienen konnte. Vladyka bezeichnete die angesprochenen heutigen Tendenzen als „krankhaft“. Man solle sich von Extremen abwenden, um eine gesündere Atmosphäre anzustreben. Diese einander entfremdende Einstellung ist, nach Meinung von Erzbischof Mark, von Außen hineingetragen, wie ein Krankheitserreger, und sollte durch eine konsequent konstruktive Lebenseinstellung mit der Zeit besiegt und beseitigt werden.
Gegen Ende seines Vortrags wandte sich Erzbischof Mark unseren Beziehungen zu den anderen Orthodoxen in Deutschland zu. Diese entwickeln sich positiv. Die Gemeinden verschiedener Nationalitäten nähern sich einander an. Es wurde eine Bischofskonferenz ins Leben gerufen, an der alle orthodoxen Hierarchen in Deutschland teilnehmen. Hier werden alle auftretenden Fragen diskutiert. Als ein Beispiel lebendiger orthodoxer Kommunikation führte Vladyka die positive Erfahrung an, die wir mit einer Bus-Rundreise unserer Kinder und Jugendlichen durch eine Reihe von orthodoxen Gemeinden verschiedener Nationalitäten in München machen konnten. Überall wurden unsere Kinder sehr gastfreundlich empfangen. Es fand auch unsere gemeinsame "Waldliturgie" Erwähnung, bei der Geistliche und Gläubige verschiedener Gemeinden zusammenkommen, die in Deutsch gefeiert wird und die die Kinder auch gemeinsam in Deutsch singen.

Auf den Vortrag folgte der Abend- und Morgengottesdienst. Während des Treffens werden die täglichen Gottesdienste (Abend- und Morgengottesdienst, Stunden und Liturgie) gefeiert. Für die zahlreichen Beichtenden und Kommunizierenden waren genügend Geistliche vorhanden. Alles lief in stiller Ordnung ab. Nach 21 Uhr waren alle über ihre Übernachtungsquartiere informiert und verließen die Kathedrale.
Morgens begann die Stunden-Lesung gleich nach 7 Uhr, dann folgte die bischöfliche Liturgie (Pontifikalamt).

Nach dem Frühstück erzählte Erzpriester Ilya Limberger über eine soziologische Studie, die in seiner Gemeinde in Stuttgart durchgeführt worden war. Nachdem er über die Resultate kurz berichtet hatte, versammelte er am Runden Tisch sechs junge Frauen im Alter von 18 bis 23 Jahren. Unter ihnen waren eine Deutsche, die vor einigen Jahren die Orthodoxie angenommen hat, in Deutschland geborene oder aus Mischehen stammende Mädchen, sowie vorübergehend in Deutschland Studierende. Vater Ilya stellte eine Reihe von Fragen, die ihre Situation im sozialen Umfeld betrafen, wie sie zur Kirche gekommen sind, wie sie am kirchlichen Leben teilhaben, wie ihre Altersgenossen ihren Glauben sehen, wie sie selbst die weiteren Perspektiven der kirchlichen Tätigkeit und Entwicklung sehen. Nacheinander wurden diese Fragen beantwortet, und die Antworten ergänzten einander. Eine umfassende Zusammenstellung der Resultate aus den Antworten hoffen wir seinerzeit von Vater Ilya zu erhalten und sie dann zu publizieren. Es wurde klar, dass die Kirche für diese jungen Frauen eine Art inneres Rückgrat bildet, häufig zum Erstaunen ihrer Altersgenossen, die manchmal interessiert sind, oder aber „taktvoll“ vorziehen beiseite zu bleiben. Häufig rufen das Fasten und sonstige Besonderheiten des Verhaltens Erstaunen hervor. Oft ist man gezwungen, in Diskussionen zu bestehen. Hierbei wurde vermerkt, dass die westlichen Menschen in religiösen Fragen weniger engagiert sind und sich zurückhalten, während aus dem russischen Umfeld oft eine sogar aggressive Reaktion erfolgt (hier wurde angemerkt, dass dies wenigstens keine Gleichgültigkeit bedeutet). Einige Bekannte bitten darum, dass man sie in die Kirche mitnimmt, und finden dann dort die ersehnte Gemeinschaft, am ehesten wohl zunächst die menschliche, und erst später dann wird die geistliche Dimension erschlossen. Auch die Beziehung zur irdischen Heimat wurde diskutiert, die Erfahrungen aus den Russlandreisen bzw. Heimatsaufenthalten nach einer längeren Zeit in Deutschland. Eine in Deutschland geborene Halb-Serbin-Halb-Russin sagte, dass sie einfach die Russische Auslandskirche ihre Heimat nennt, und dann die Orthodoxie insgesamt. Es wurde auch die Möglichkeit einer Entwicklung der kirchlichen sozialen Tätigkeit diskutiert, und allgemein die Frage des aufopferungsvollen Dienstes in der heutigen Welt. Ungeachtet dessen, dass die jungen Frauen meist ordentlich nacheinander antworteten, entstand hier ein äußerst lebendiges Gespräch. Die Wortmeldungen ergänzten einander, erschlossen die verschiedenen Seiten des Lebens unserer Jugend, und es war auch ganz offensichtlich, wie sehr die Zuhörerschaft an den jeweiligen Fragen und Antworten interessiert ist. Vater Ilya wies darauf hin, dass an diesem Runden Tisch zwar nur Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts versammelt seien, dies jedoch keinerlei Diskriminierung bedeute, sondern sich ganz natürlich ergeben habe, und dass man für die Zukunft eine andere Variante einplanen sollte. Das Gespräch dauerte über zwei Stunden, so dass der geplante nachfolgende Vortrag auf den Nachmittag verlegt werden musste.

Am Nachmittag wurde das Treffen fortgesetzt mit dem Vortrag von Dr. med. Denis Kondratyev: „Einführung in eine orthodoxe Physiologie“ (zum Thema Evolutionismus und zeitgenössische Biologie). D. Kondratyev verband seinen Vortrag kunstvoll mit einer Powerpoint-Präsentation. Er legte die von Theophan dem Klausner beschriebene „Leiter der nicht-materiellen Kräfte“ dar und zeigte die mögliche Ordnung einer „Leiter der Wissenschaften“, in der die Physiologie eine Zwischenstellung einnehmen würde. Auch wurde die Einstellung der Kirchenväter zu den Wissenschaften dargestellt, zur wissenschaftlichen Forschung und dem Wissen als solchem.
D. Kondratyev berichtete darüber, wie er sich  anfänglich über die Herausgabe des Lehrbuchs "Allgemeine Biologie" für die 10. und 11. Klasse (Herausgeber: Dreifaltigkeits-Lavra) gefreut hatte. Die Autoren setzen sich zum Ziel, eine orthodoxe Sicht auf die Biologie zu entwickeln. Aber die anfängliche Freude wurde getrübt durch die Anzahl praktischer Fehler und sonstige Mängel, sowie den im Lehrbuch angeschlagenen Ton. All das gab gewissen atheistisch eingestellten Gelehrten die Möglichkeit, in aggressiver Weise das Buch zu verreißen. Doch dann fand der Vortragende das Buch "Wissen über die Natur". Der Autor ist ein Priester namens Timofej (Herausgeber: „Palomnik“, Moskau 1999). Hier wird die Natur als ein Wunder Gottes dargestellt. Das Buch beansprucht nicht, wissenschaftlich und eindeutig die Fakten darzulegen, wie sie in der Schule und in der Universität im Fach Biologie gefordert werden. In diesem Buch gibt es keine Polemik, stattdessen wird den Kindern und Jugendlichen ein richtiger Schlüssel an die Hand gegeben, wie man das Leben im Kontext der von Gott geschaffenen Welt innerlich und geistlich auffassen kann.
Ausgehend von seinen medizinischen Kenntnissen der Physiologie legte Dr. Kondratyev in ähnlicher Weise, aber auch mit sehr genauem faktischen Material, seine Auffassung vom Wunder des Lebens dar, und verband dies mit dem aus fünf Stufen bestehenden System des Aufbaus der menschlichen Person, so wie es beim heiligen Theophan dem Klausner zu finden ist. Er wies darauf hin, wie der geistliche Widerstand gegen die Leidenschaften und Laster (sündige Gewohnheiten) sich faktisch auf der neurophysiologischen Ebene äußert. Weiterhin betrachtete er die Tätigkeit des Gehirns und ordnete dasselbe hinsichtlich der Person ein, in Übereinstimmung mit den Kirchenvätern. Aus der Sicht der Biologie und zugleich des geistlichen Lebens erschloss er die Physiologie der Sinne und der darüberstehenden Tätigkeit der Vernunft und des Herzens, die in dem einen Fluss des geistlichen Lebens zu vereinen sind.
Die Zuhörer waren tief beeindruckt und berührt. Hier verbanden sich die Sachkenntnis und der hohe Bildungsstand des Vortragenden mit der lebendigen Erfahrung eines orthodoxen Menschen und eines Vaters einer großen jungen Familie in eins. Auf kirchenväterlicher Grundlage wurde gezeigt, wie man über die Lebenswissenschaft der Biologie im Kontext einer ganzheitlichen – geistlichen und wissenschaftlichen – Auffassung vom Wissen denken und sprechen kann.

Nach der Beantwortung einiger Fragen und einer kurzen Pause folgte der Vortrag des Erzpriesters Nikolai Artemoff „Christologie: Die Bedeutung des vierten Ökumenischen Konzils (zu Chalkedon) in der Kirchengeschichte“.
Das Konzil von Chalkedon (451) hat einen zentralen Platz unter den ökumenischen Konzilien, nicht nur der Ordnungszahl, sondern auch seinem Inhalt nach. Hinsichtlich der triadologischen Streitigkeiten (die dem Dogma von der Heiligen Dreieinigkeit gewidmet waren und wegen denen die zwei ersten ökumenischen Konzilien – 325 und 381 – stattfanden), wies Vater Nikolai darauf hin, dass die Arianer behaupteten, der Sohn Gottes und Christus sei ein Geschöpf Gottes. Damit war für sie das christologische Problem, die Frage nach der Vereinigung Gottes des Schöpfers und des Menschen – des Geschöpfes – in ein- und derselben Person gar nicht aktuell. Diese Frage war Anlass für die nachfolgenden christologischen Streitigkeiten, die in vier Konzilien (431, 451, 553, 681) behandelt wurden. Und im 7. Ökumenischen Konzil, welches im Jahre 787 die Ikonenverehrung dogmatisch erklärte, wurde der Weg der Erschließung des Dogmas von Christus dem Gottmenschen vollendet. Aber gerade der gegen die Arianer kämpfende Apollinarius von Laodizäa (der Jüngere) stellte sich der christologischen Frage. Er erkannte das Problem und legte ein eigenes Schema vor, was die innere Beziehung zwischen Gott und Mensch in Christus betraf. Seine Lösung lautete: der göttliche Logos (das Gotteswort) habe angeblich in Christus den höchsten Teil der menschlichen Seele, ihren „geistlichen Sinn“ (die Vernunft, griechisch: Nous) ersetzt. Angesichts der Unvollständigkeit der menschlichen Seite Christi in diesem System verwarf die Kirche diese Lehre und Apollinarius wurde im zweiten ökumenischen Konzil verurteilt. Aber das Problem blieb bestehen und deshalb folgte bald darauf der Versuch einer anderen Lösung: die Distanzierung des göttlichen Prinzips vom menschlichen Prinzip in Christus (Nestorianismus). Die Tendenz zu einer Teilung Christi rief eine heftige Reaktion seitens des heiligen Kirill von Alexandrien hervor. Er war der Vorsitzende des dritten ökumenischen Konzils in Ephesus (431), aber in diesem Zusammenhang blieb das genaue Verständnis des griechischen Wortes "physis" ungeklärt, welches die Eigenständigkeit der "Person", oder aber der "Natur" meinen konnte, und somit blieb hier auch die Frage nach den zwei "Naturen" in Christus ohne endgültige Klärung. Dieses Thema bestimmte die jahrhundertelange Auseinandersetzung mit dem "Monophysitismus" – die Monophysiten nahmen die Bestimmungen des Konzils von Chalkedon (451) nicht an.
Vor Beginn des Vortrags erhielten die Zuhörer ein Blatt mit Schlüsselbegriffen, die einerseits die eigenständige und einzigartige "Person" betreffen, und andererseits die Begriffe für "Natur" (Substanz), unter denen die allgemeinen Eigenschaften subsumiert werden. Der Vortragende beschrieb die Schwierigkeiten der Ausarbeitung einer Terminologie bezüglich der Dreieinigkeit und des Gottmenschen Christus, so wie sie in den Diskussionen benutzt wurde, und wie schließlich die kirchenväterlichen Antworten lauteten, die aus dem Gebet und der Theologie, der Gotteserfahrung der Heiligen stammten. Zugleich zeigte er, welche Missverständnisse und Unklarheiten auf diesem Wege überwunden werden mussten von den Zeitgenossen einer jeden Etappe in diesen Auseinandersetzungen, hinter denen die tiefsten Seinsfragen standen. Zum Abschluss wurde der Text des Dogmas von Chalkedon analysiert, das die Erkenntnis des einen Christus „in zwei Naturen“ festlegt: als ewige und einzigartige Person bleibt Er unverändert der Sohn Gottes und der Logos (Wort) Gottes, verfügt über die gesamte Fülle der Gottesnatur, in der Zeit aber nimmt er in den Bestand dieser seiner Person – unverändert bleibend – die menschliche Natur auf. Im Evangelium wird deutlich, wie in Christus gemeinsam die beiden Naturen, sowohl die göttliche als auch die menschliche, wirken - eine jede gemäß ihren Eigentümlichkeiten und Eigenschaften. Die Begriffe "ungetrennt" und "unvermischt“ für die zwei völlig unterschiedlichen Naturen im einen Christus bezeichnen das über jegliche menschliche Vorstellung hinausgehende Wunder der „neuen Schöpfung“, welches die Metamorphosis (Verklärung, Umgestaltung) der gesamten Welt in sich trägt.
Nach dem Konzil von Chalkedon versuchten der byzantinische Staat und einige kirchliche Oberhäupter, die Monophysiten durch Kompromisse zu einer Einigung oder Annäherung zu bewegen. Dies führte zu weiteren Auseinandersetzungen. Es folgte der Kampf um die Wahrheit und um eine genauere Ausarbeitung in weiteren konziliar-kirchlichen Antworten/Bestimmungen.
Im Vortrag wurde ebenso gezeigt, wie andererseits die Bilderstürmer (Ikonoklasten), die im achten Jahrhundert auf den Plan traten, den Ikonenverehrern dialektisch verschiedene Häresien zuzuschreiben versuchten – sei es des „Nestorianismus“, sei es des „Monophysitismus“ oder auch einfach der „Idolatrie“ des Heidentums. In ihrer Antwort darauf erschloss und bestätigte die Kirche vertieft die Bedeutung des Bildes. Sie gründete sich darauf, dass der Mensch „nach dem Bild Gottes geschaffen“ und berufen ist, „zur Ähnlichkeit“ emporzuwachsen. Zum Abschluss hob Vater Nikolai hervor: Wenn wir wissen, welche Stürme die Kirche auf ihrem Weg durchstand, um das Bild Christi klar hervortreten zu lassen, und um zu klären, was unserer Erkenntnis zugänglich beziehungsweise unzugänglich ist, dann werden wir die Gabe der Orthodoxie wertschätzen ohne jegliche Verwirrung anlässlich von Unklarheiten oder Missverständnissen, denen wir heute auf unserem kirchlichen Wege notwendigerweise begegnen.

Am Morgen des 28. Dezember kam Predrag Miodrag zu Wort, der seit gut 25 Jahren in der Serbischen Orthodoxen Kirche kirchlichen Gesang lehrt. Zu unserem Treffen kam er aus Österreich, wo er kurz zuvor ein Gesangsseminar leitete. Das Thema seines Vortrages lautete: «Das Wort als Instrument des Gebetes und die Rolle der Musik im Gottesdienst».
Der Gottesdienst ist die Doxologie, die Verherrlichung Gottes in der Ordnung der gesungenen Abfolge. Der geistliche Inhalt des Textes wird mit nüchterner Empfindung durch den Gesang weitergegeben. Der Vortragende zeigte anhand von Zitaten aus den Propheten, aus dem Apostel und den Evangelien die Verbindung der Doxologie der Engel und der Menschen. Predrag Miodrag beschrieb die historische Entwicklung des Kirchengesangs aus der alttestamentlichen Psalmodie hin zum anfänglichen einfachen kirchlichen Singen, dann die Entstehung der Troparien, der Kontakien und der Ikos, bis zum ausgearbeiteten System des Oktoich (der „acht Töne“). Im Beginn steht der Einklang des Unisono, welches die Übereinstimmung und die Gemeinsamkeit „mit einem Mund und mit einem Herzen“ zum Ausdruck bringt in den Antworten auf die Gebets-Ausrufe des Priesters. So zeigt sich die Gemeinschaft im liturgischen Dienen. Dann entwickelt sich der Wechsel der Töne (Melodien), der dem Ausdruck der Eigentümlichkeit der jeweiligen Feste dient. Entsprechend haben wir den einfachen Gesang im alltäglichen Gottesdienst, und einen häufigen Wechsel der Töne während eines Festgottesdienstes. Eine besondere Rolle bei der Entwicklung des Kirchengesangs spielte das Klosterleben und, natürlich, der Heilige Berg Athos.
Weiter zeigte P. Miodrag anhand von Beispielen, wie der griechische Gesang der byzantinischen Kirche Einzug hielt in das slawische Singen. Bei der Übersetzung in die slawische Sprache wurde die Melodie bewahrt, aber auch umgestaltet. Dadurch wird das allgemeine kirchliche Gesetz bestätigt: in allem lebt die Überlieferung – eine ununterbrochene Tradition. Im Vortrag wurde die Verbindung des Gesangs mit der kirchlichen Malerei und Architektur aufgezeigt und ebenso, wie die Komponisten späterer Jahrhunderte in ihren besten Werken sich darum bemühten, nicht etwas völlig Neues zu erfinden, sondern sich hinein zu geben in die geschenkte kirchliche Überlieferung, tiefer einzudringen und zugleich dieselbe anhand des neuen Materials weiter zu vertiefen. Am Ende des Vortrages erklang auch Kritik an einer gelegentlich allzu expressiv emotionalen Lesung des Apostels und des Evangeliums, und es wurden Hinweise gegeben, wie bei einer echten Melodie-Führung eine echte kirchliche Stimmung weitergegeben wird – ohne Aufschreien, Röhren und Brummen sowie sonstige völlig überflüssige „Effekthascherei“.
Der Vortrag war reichlich ausgestattet mit Beispielen von Stichiren, Kontakien und Troparien: Der Vortragende zeigte mit eigener Stimme die Feinheiten des serbischen einstimmigen Kirchengesangs mit seinen charakteristischen fließenden Übergängen. Die Zuhörer waren überaus beeindruckt von diesem Vortrag, der unser Treffen durch seine musikalische und menschliche Farbfreudigkeit bereicherte.

Der Vortrag des Erzpriesters Nikolai Artemoff «Das Buch Genesis in neutestamentlicher Sicht» schloss unser Treffen ab. Vater Nikolai ließ eine Reihe von Gedanken aus den in diesem Treffen gehörten Vorträgen Revue passieren, unterstrich damit die innere gedankliche Einheit unseres Treffens und zog somit eine Art Bilanz. Daraus folgte, dass unser Seminar im rechten Kontext stand. Weiterhin wies der Vortragende darauf hin, dass jeder „Text“ ein Gewebe ist, dessen Bedeutung außerhalb des Kontextes oder in einem fremden Kontext unmöglich recht bestimmt werden kann. Der biblische Text kann in rechter Weise nur im kirchlich-liturgischen Kontext gelesen und verstanden werden. Die Diskussion über die Schöpfungsgeschichte, die wir im letzten Jahr hatten, nahm Vater Nikolai zum Anlass seines Vortrags und verband das Buch Genesis mit der Auferstehung Christi (der Auferstandene weist die Apostel eigens auf die Bücher Moses hin, neben den Propheten und den Psalmen), und von daher mit dem Neuen Testament insgesamt sowie den Sakramenten der Kirche.
Nach dieser Auffassung ist es von vornherein aussichtslos, die in der Genesis gegebene Schöpfungsgeschichte im gewohnt weltlichen, materiellen Kontext zu lesen, um dann die Theorie der 24 Stunden pro Tag bzw. die Theorie der geologischen und biologischen Epochen zu vertreten. Gegründet auf die bildhafte Auffassung, die die Texte der Heiligen Schrift in Einheit mit den kirchlichen Gottesdiensten bieten, führte Vater Nikolai seine Zuhörer in eine völlig andere Beziehung von „Himmel und Erde“ mit dem Menschen ein, der nach göttlicher Absicht die gesamte Schöpfung in sich vereinen sollte. Das, was der „alte Adam“ nicht erfüllt hatte, erfüllte real der „neue Adam“ – Christus, der Erlöser. In Christus wurde der Sohn Gottes offenbar als die göttliche aufopferungsvolle Liebe, die der Schöpfung zugrundeliegt, als das „von der Grundlegung der Welt geschlachtete Lamm“ (Apok 13, 8). Mit dieser Offenbarung wurden der Menschheit völlig andere Dimensionen der Zeit und des Raumes eröffnet. Statt des linearen Zeitflusses erscheint in den Sakramenten der Kirche als dem einen Mysterium Christi, des Gottmenschen, das Leben der „neuen Schöpfung“ in konzentrischen Kreisen. Im Zentrum steht das Kreuz, in dessen Zentrum der Auferstandene Christus ist, derselbe Logos Gottes, der das allgegenwärtige Zentrum der Welt ist, sowohl nach seiner Seinsweise, als auch nach seinem inneren Sinn. In diesem Kontext wird die Heilige Schrift – das eine Zeugnis des Heiligen Geistes – wahrhaft als Wort Gottes aufgefasst. Erfasst der Mensch diese Dimension, dann schweift er nicht ab oder verlässt die Kirche durch etwaige Versuche, eine rein äußerliche Sicht des Bibeltextes mit modernen wissenschaftlichen Daten in Übereinstimmung zu bringen, sondern wird zur Erfüllung dessen geführt, was Christus gebracht hat.

Nach dem Abschlussgebet wurden die Gespräche und Diskussionen während des Mittagessens noch weitergeführt, zur gleichen Zeit trafen auch schon weitere Geistliche und Vertreter der Gemeinden ein, zu der sofort im Anschluss beginnenden Diözesanversammlung.

Themen der Vorträge - Anmeldeformular -

(den genauen Ablauf des Treffens sehen Sie unten auf der Seite):

Sonntag 26. Dezember 2010
15:00 Bittgottesdienst.
Eröffnung des Treffens durch S. E. Mark, Erzbischof von Berlin und Deutschland
15:45 Orthodoxe Kirche in Deutschland: S. E. Mark, Erzbischof von Berlin und Deutschland, «Die Lage der Orthodoxen Kirche in Deutschland – Vergangenheit und Perspektiven», Diskussion.
17:00 Abend- und Morgengottesdienst. (Beichte)
19:45 Abendessen


Montag 27. Dezember 2010
07:15 Stunden, Göttliche Liturgie
09:35 Frühstück
10:10 Die Jugend in unserer Kirche: «Wie sieht die Jugend unsere Kirche und ihren Platz in ihr, Entwicklungsaussichten». Runder Tisch: Teilnehmer aus verschiedenen Gemeinden

11:45 Kirchengeschichte und Entwicklung des Dogmas: Erzpriester Nikolai Artemoff, «Die Bedeutung des 4. Ökumenischen Konzils (Chalzedon) in der Kirchengeschichte».
13:00 Mittagessen
14:30 Wissenschaft: Dr. med. Denis Kondratiev, «Einführung in eine orthodoxe Physiologie» (zum Thema Evolution und Biologie) - Diskussion.

15:45 Kirchengeschichte und Entwicklung des Dogmas: Erzpriester Nikolai Artemoff, Lektüre von Dokumenten: „Brief Papst Leos des Großen an Flavian“ - Diskussion.
16:45 Teepause
17:00 Abend- und Morgengottesdienst. (Beichte)
19:45 Abendessen


Dienstag 28. Dezember 2010
07:15 Stunden, Göttliche Liturgie
09:35 Frühstück
10:10 Kirchliche Kunst: Predrag Miodrag (Serbische Orthodoxe Kirche), «Das Wort als Instrument des Gebetes und die Rolle der Musik im Gottesdienst» - Diskussion.
11:30 Heilige Schrift und Liturgie: Erzpriester Nikolai Artemoff, «Das Buch Genesis in neutestamentlicher Sicht» - Diskussion.

12:40 Abschlussdiskussion.
13:00 Mittagessen
14:30 Beginn der Diözesanversammlung (Geistliche, Kirchenälteste, Kassierer)

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