Heilig werden mit den Heiligen

Mittwoch, den 24. Juni 2015 um 10:40 Uhr
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Ein einziger Gedanke eines Heiligen hat die Kraft, das ganze Leben zu verändern.
Es gibt da so einen Trick: die Vorstellung von Heiligkeit so zu erheben, zu überhöhen, dass die Heiligkeit von vorne herein unerreichbar scheint, unwirklich. Irreal. Tatsächlich aber ist die heilige Praxis einfach – praktisch eben. Völlig real. Gott schenkt einem jeden von uns die Zeit. Diese Zeit können wir anfüllen mit dem Licht der Heiligen.

"Nichts hat Bestand, wenn es nicht von oben herab gekräftiget wird, und Nichts wird uns nützen, was nicht auf Ihn Bezug hat"

Denn es kann uns nicht frommen, wenn wir mit Allen im Frieden leben, mit Gott aber Krieg führen; sowie es uns auch nicht schaden kann, wenn wir von Allen bekriegt werden, mit Gott aber Frieden haben. Und wieder kann es uns Nichts helfen, wenn wir allen Menschen gefallen, Gott aber beleidigen, während wir hingegen ohne alle Gefahr sind, wenn uns Gott Beifall und Liebe schenkt, sollten uns auch alle Menschen schmähen und hassen; denn die wahre Gnade und der wahre Friede kommt von Gott.

Denn wer bei Gott in Gnaden steht, fürchtet Niemanden, und sollte er auch unzählige Leiden zu erdulden haben; er fürchtet nicht einmal den Teufel, geschweige denn einen Menschen. Wer aber in der Ungnade Gottes ist, fürchtet sich vor Allen, wenn er auch ruhig zu leben scheint; denn das Menschengeschlecht ist unbeständig, und nicht bloß Freunde und Brüder ändern oft aus geringfügigen Ursachen ihren Sinn, sondern auch Väter haben sogar ihre eigenen Kinder und Kinder ihre Väter ärger als Feinde behandelt und vertrieben.

Der Demüthige ist bei Allen beliebt und genehm, lebt in stetem Frieden und hat keine Veranlassung zum Streit. Denn du magst ihn beschimpfen und lästern, magst sagen, was du willst: er wird schweigen und es sanftmüthig ertragen und eines unaussprechlichen Friedens nicht nur mit allen Menschen, sondern auch mit Gott genießen; denn es ist ja Gottes Gebot, mit den Menschen Frieden zu halten, und so ist unser ganzer Wandel wohl geordnet, wenn wir mit einander in Frieden leben. Niemand kann Gott schädigen; denn unverletzlich ist jenes Wesen und erhaben über jegliche Leidenschaft; nichts macht den Christen so bewunderungswürdig als die Demuth.

Fragmente aus "Homilien über den ersten Brief an die Korinther", Kap. 1.1,2 - Johannes Chrysostomus († 407)

"Wie kannst du dich denn entschuldigen, wenn du nicht innerhalb der Schranken bleibst, während ein Anderer derselben gar nicht bedarf? Ja, sagst du, die Natur meines Körpers und die Neigung meines Willens sind nicht also beschaffen. Weil du nicht willst, nicht weil du nicht kannst: denn ich beweise dir, daß zur Tugend Alle fähig sind."

Aus unserm Benehmen gegen Andere, aus unsern Erlebnissen vor Gericht; daraus, daß wir Gesetze geben und uns selbst verurteilen, wenn uns auch Niemand verklagt; daraus, daß wir durch die Trägheit schlechter, durch die Furcht aber besser werden; und endlich daraus, daß wir Andere bei ihrem tugendhaften Wandel zu hoher Vollkommenheit gelangen sehen: — erhellet doch klar, daß es in unserer Macht steht, tugendhaft zu sein.

Wenn nämlich Jemand Etwas nicht thun kann, so kann er es auch nicht in dringender Not. Wenn er aber in dringender Not Etwas tun kann und es nicht.tut, so handelt er ja nicht ohne freien Willen. Ich gebe ein Beispiel. Es ist ganz und gar unmöglich, mit einem schwerfälligen Körper in die Höbe zu fliegen und sich gen Himmel zu schwingen. Wie nun, wenn der Kaiser Dieses zu tun geböte und mit dem Tode drohete, indem er spräche: Diejenigen, welche nicht fliegen, lasse ich köpfen, verbrennen oder auf andere Weise bestrafen; würde da Jemand gehorchen? Mit nichten; denn Das ist gegen die Natur des Menschen.

Wenn nun Das in Bezug auf die Keuschheit geschähe und der Befehl erginge, daß der Unzüchtige gestraft, verbannt, gegeißelt und durch unzählige Qualen gezüchtigt werden sollte; würden dann nicht Viele dem Befehle nachkommen? Nein, sagst du; denn es besteht ja wirklich ein Gesetz, welches den Ehebruch verbietet, und doch gehorchen nicht Alle; nicht weil die Furcht sie einschüchtert, sondern weil die Meisten hoffen, verborgen zu bleiben. Stände der Gesetzgeber und der Richter vor ihnen, wenn sie im Begriffe sind, der Wollust zu fröhnen, so vermöchte wohl die Furcht alle Lust zu verbannen. Ich will einen Zwang annehmen, der weniger hart ist; z. B. ich entführe einen Mann seiner geliebten Gattin, lasse ihn fesseln und einsperren: er wird es ertragen und es auch nicht allzu sehr empfinden. — Lasset uns also nicht sagen: Dieser ist von Natur gut, Jener von Natur böse; denn ist Jener von Natur gut, so kann er nicht böse werden; und ist Dieser von Natur böse, so kann er nicht gut werden. Nun sehen wir aber die plötzlichsten Umwandlungen, wie man von Diesem zu Jenem und von Jenem zu Diesem Übergeht.

Warum täuschen wir uns denn selbst mit kahlen Ausflüchten und mit Entschuldigungen, die nicht nur keine Verzeihung, sondern die härteste Strafe nach sich ziehen? Wir sollten vielmehr jenen furchtbaren Gerichtstag vor Augen haben und nach der Tugend streben, um nach einer kurzen Anstrengung die unvergängliche Krone zu erlangen. Denn jene Ausflüchte werden uns Nichts nützen, sondern die Mitknechte, welche die entgegengesetzten Tugenden geübt haben, welden alle Sünder verdammen, der Mitleidige den Hartherzigen, der Gute den Bösen, der Bescheidene den Frechen, der Wohlwollende den Neidigen, der Weise den Thoren, der Emsige den Trägen, der Keusche den Unkeuschen.

Fragmente aus "Homilien über den ersten Brief an die Korinther", Kap.2.3 - Johannes Chrysostomus († 407)
Quelle: Bliothek der Kirchenväter -


"Es ist ist zwar etwas Großes, sich der Dürftigen erbarmen, aber nichts der Art, wie einen Menschen vom Irrthum befreien. Nichts kommt an Wert einer Seele gleich, nicht einmal die ganze Welt."

So also wollen wir die Heiden bekämpfen und überwinden, aber mehr noch durch unsern Wandel als durch Worte laßt uns sie schlagen; denn das ist die große Art des Kampfes, das der unwiderlegliche Beweis, der Beweis der Tat; denn wenn wir auch noch so viel mit Worten philosophiren, in unserm Lebenswandel uns aber nicht besser zeigen als die Heiden, so werden wir Nichts gewinnen. Die Heiden achten nicht auf unsere Worte, sondern sie prüfen unsere Handlungen und sagen: Folge du zuerst deinen Worten, und dann ermähne Andere!

Wenn du von tausend zukünftigen Gütern sprichst und doch so sehr an den irdischen haftest, als wären jene gar nicht vorhanden, so sind mir deine Handlungen glaubwürdiger als deine Worte. Denn wenn ich sehe, daß du fremdes Eigenthum raubst, daß du die Verstorbenen unmäßig betrauerst und viele andere Ungebührlichkeiten begehst: wie soll ich dir glauben, daß es eine Auferstehung gibt? Wenn sie Das auch nicht sagen, so denken sie es doch und bewahren es im Herzen; und Das hält die Ungläubigen vom Christenthum ab; suchen wir also sie durch unsern Lebenswandel anzuziehen!

Auf diese Weise haben selbst viele Ungebildete die Spitzfindigkeiten von Philosophen besiegt, indem sie durch ihre Handlungen ihre Weisheit an den Tag legten und sie durch ihren Tugendwandel lauter als eine Drommete verkündeten; denn Taten sind stärker, als Worte. Wenn ich nämlich sage, man solle nicht Böses mit Bösem vergelten, und füge dann dem Heiden tausendfaches Unrecht zu: wie kann ich ihn da durch Worte gewinnen, während ich ihn durch meine Handlungen zurückstoße? Laßt uns also durch unsern Wandel die Heiden bekehren und aus diesen Seelen die Kirche aufbauen und solchen Reichthum sammeln! Nichts kommt an Wert einer Seele gleich, nicht einmal die ganze Welt. Wenn du den Armen auch zahllose Almosen spendest, so hast du noch nicht so viel gethan als Der, welcher eine einzige Seele bekehrt. „Denn wer Edles vom Schlechten absondert, wird wie mein Mund sein,“ — heißt es.

Und wenn du ihn heute nicht überredest, so wirst du ihn morgen überreden; und wenn du ihn gar nicht überreden kannst, so wirst du doch deinen Lohn vollkommen erhalten. Und wenn du auch nicht Alle gewinnst, so wirst du doch aus den Vielen Einige überreden können; denn auch die Apostel haben nicht Alle bekehrt, aber sie redeten zu Allen und wurden auch wegen Aller belohnt. Denn Gott pflegt die Kronen auszutheilen nicht nach dem Erfolge der guten Werke, sondern nach der guten Absicht, die man dabei hat. Hast du auch nur zwei Pfennige geopfert, so nimmt er sie an, und wie er es mit jener Wittwe machte, so verfährt er auch mit Denen, die da lehren. Da du also die ganze Welt nicht zu retten vermagst, so verschmähe die Wenigen nicht, und entziehe dich dem Kleinen nicht aus Verlangen nach dem Großen! Kannst du nicht für hundert sorgen, sorge für zehn, und kannst du nicht für zehn sorgen, so verschmähe nicht fünf; und kannst du nicht fünf gewinnen, so verachte auch Einen nicht; und kannst du auch den Einen nicht retten, so laß den Muth nicht sinken und es an deiner Mitwirkung nicht fehlen!

Fragmente aus "Homilien über den ersten Brief an die Korinther", Kap.3.5 - Johannes Chrysostomus († 407)
Quelle: Bliothek der Kirchenväter -

"Mehr als der Mann sein Weib lieben soll, sollen wir alle Menschen lieben und zum Heile heranziehen, seien sie nun Heiden oder wer immer."

Den Kranken, die von großen Schmerzen gequält werden, sind auch gesunde Speisen zuwider; Freunde und Verwandte sind ihnen beschwerlich; ja oft werden diese gar nicht erkannt und erscheinen ihnen als lästig. So pflegt es auch Denen zu gehen, die der Seele nach verloren sind. Denn was zum Heile führt, erkennen sie nicht, und Diejenigen, die sich ihrer annehmen, betrachten sie als lästige Menschen. Daran ist nicht das Wesen der Sache Schuld, sondern ihre schlechte Gemütsverfassung. Sowie die Wahnsinnigen gegen ihre Aufwärter rasen und sie lästern, so machen es auch die Ungläubigen. Gleichwie aber Jene, welche gelästert werden, die Lästerer am meisten bemitleiden und beweinen, weil sie in diesem Verkennen ihrer besten Freunde den Beweis finden, daß die Krankheit den höchsten Grad erreicht hat; so wollen auch wir es mit den Heiden machen und sie mehr als die Weiber bejammern, weil sie ihr eigenes Heil nicht erkennen.

Das ist nicht zu verwundern: denn Diejenigen, die da verloren gehen, erkennen nicht, was zum Heile führt. Laßt euch also nicht verwirren; denn es ist nichts Neues, nichts Ungewöhnliches, daß erhabene Dinge von Wahnsinnigen verspottet werden. Solche Leute lassen sich durch menschliche Weisheit nicht überreden, und wollte man es dennoch versuchen, so würde man das Gegenteil erzielen; denn zu Dingen, die unsere Begriffe übersteigen, genügt nur der Glaube.

Laßt uns also liebenswürdig sein und die Heiden durch Freundlichkeit an uns ziehen! Das wird aber geschehen, wenn wir bereit sind, nichts Böses zu thun, sondern vielmehr Böses zu dulden. Sehen wir denn nicht, wie die Väter, wenn sie ihre Kinder auf den Armen tragen und diese ihnen mit den Händchen in’s Angesicht schlagen, ohne Weiteres ihnen gestatten, ihren Zorn auszulassen, und sich dann freuen, wenn sie dieselben wieder besänftiget sehen? So wollen auch wir es machen: wie Väter mit ihren Kindern wollen wir mit den Heiden sprechen: denn wirklich sind alle Heiden Kinder. Auch haben Dieß Einige aus ihnen gesagt, daß sie alle Kinder seien, und daß es unter ihnen keinen Greis gebe.

Die Kinder können aber über nichts Ernsthaftes nachdenken. So ist es auch mit den Heiden: sie wollen immer spielen und auf dem Boden kriechen, sie sind niedrig und liegen auf der Erde. Oft, wenn wir über nothwendige Dinge sprechen, verstehen die Kinder Nichts davon, sondern lachen nur. So auch die Heiden. Reden wir ihnen von dem Himmel, so lachen sie.

Fragmente aus "Homilien über den ersten Brief an die Korinther", Kap.4.1,6 - Johannes Chrysostomus († 407)
Quelle: Bliothek der Kirchenväter -

"Unser guter Lebenswandel kommt den Meisten weit glaubwürdiger vor."

Daher kam eben die Verirrung, daß die Menschen sich weiser zu sein dünkten als die göttlichen Gesetze, indem sie Gott nicht so erkennen wollten, wie Er es vorgeschrieben hatte. Darum lernten sie Ihn gar nicht kennen. So geschah es auch im Anfange der Welt. Gott sprach zu Adam: Das sollst du thun, Das sollst du nicht thun. Dieser aber, der mehr zu finden wähnte, war ungehorsam und verlor auch Das, was er hatte. Gott sprach zu den später Lebenden: Bleibet doch nicht bei den Geschöpfen stehen, sondern erkennet aus diesen den Schöpfer! Diese aber forschten nach einer höhern Weisheit, als in den obigen Worten lag, und eröffneten tausend Irrgänge. Daher gerieten sie mit sich selbst und unter einander in Zwiespalt und fanden weder Gott, noch wußten sie etwas Zuverlässiges über die Schöpfung, noch hatten sie eine wahre und richtige Ansicht von ihr.

Darum schlug Gott abermals ihren Dünkel gewaltig zu Boden, indem er die Unwissenden zuerst auftreten ließ, um zu zeigen, daß der Weisheit von oben Alle bedürfen. Gott traf aber nicht allein in Betreff der Erkenntniß, sondern auch aller andern Dinge eine solche Einrichtung, daß die Menschen und alle übrigen Geschöpfe seiner durchaus bedürfen, um ihnen auch so die beste Gelegenheit zu bieten, unterwürfig und abhängig zu sein, und damit sie durch Widerspenstigkeit nicht zu Grunde gingen. Darum wollte er nicht, daß sie sich selber genügten. Wenn es sogar jetzt, da wir seiner bedürfen, Viele gibt, die ihn verachten: wie weit würden sie in der Verachtung geben, wenn Das nicht der Fall wäre? Daher benahm Er ihnen allen Ruhm, nicht aus Mißgunst, sondern um sie dem daraus entstehenden Verderben zu entreissen.

„Warum glauben denn jetzt nicht Alle?“ Weil die Dinge schlimmer geworden, und zwar aus unserer Schuld (wir kommen endlich auf uns selber zu sprechen). Denn zur Zeit der Apostel glaubte man nicht nur wegen der Wunder; Viele wurden auch durch den Wandel der Christen angezogen: „Euer Licht leuchte vor den Menschen,“ heißt es, „auf daß sie euere guten Werke sehen und eueren Vater preisen, der im Himmel ist;“ und: „Alle hatten ein Herz und eine Seele; und nicht Einer nannte von seinem Vermögen noch Etwas sein, sondern sie hatten Alles mit einander gemein und teilten es unter Alle, Jedem nach seinem Bedürfniß;“ und sie führten ein englisches Leben. Auch jetzt werden wir, wenn Dieß geschieht, auch ohne Wunder den ganzen Erdkreis bekehren. Indessen sollen Diejenigen, die da selig werden wollen, auf die Schrift merken; denn darin werden sie diese und zwar noch mehr Tugendbeispiele finden.

Denn wer von uns hat wohl um des göttlichen Wortes willen je Hunger gelitten? Wer ist deßhalb in der Einöde gewesen? Wer hat eine große Reise unternommen? Welcher von den jetzt lebenden Lehrern hat durch seine Handarbeit Andern Hilfe geleistet? Wer hat täglich Todesgefahr ausgestanden? Daher kommt es, daß auch Diejenigen, die uns umgeben, träger werden.

Welcher Ungläubige würde uns Gehör schenken, da die Schlechtigkeit so sehr die Oberhand hat? Denn Wunder werden vor unverschämten und boshaften Leuten noch einen schlimmen Verdacht erwecken, ein reines Leben aber wird selbst dem Teufel vollends das Maul zu stopfen vermögen.

Fragmente aus "Homilien über den ersten Brief an die Korinther", Kap.5.2 , 6.4 - Johannes Chrysostomus († 407)
Quelle: Bliothek der Kirchenväter -

"Gott hat die Seele (Vernunft) gegeben, daß sie von Ihm lernen und das Seinige aufnehmen, nicht aber, daß sie wähnen soll, sich selbst zu genügen."

Gleichwie der Unerfahrene, wenn er einen Brief empfängt, nur Papier und Schwärze sieht, der Erfahrene hingegen die Sprache versteht und sich mit dem abwesenden Schreiber unterhält und ihm hinwieder seinen Willen schriftlich bekannt macht: — so verhält es sich auch mit dem Geheimniß. Die Ungläubigen, wenn sie es auch hören, scheinen es nicht zu hören; die Gläubigen aber, welche durch den Geist belehrt sind, sehen die darin verborgene Kraft.

Das Geheimniß bedarf keines Beweises; es soll nur verkündet werden, so wie es ist. Denn sobald du von dem Deinigen Etwas hinzusetzest, ist es nicht mehr ganz ein göttliches Geheimniß. Übrigens wird auch Das ein Geheimniß genannt, wenn wir nicht glauben, was wir sehen, sondern Anderes sehen und Anderes glauben. So verhält es sich mit unsern Geheimnissen: einen andern Eindruck macht die Sache auf mich, einen andern auf den Ungläubigen.

Ich höre, daß Christus gekreuzigt worden; sogleich bewundere ich seine Liebe zu den Menschen; auch jener hört es und steht es für Schwäche an, ich höre, daß er ein Knecht geworden, und bewundere seine Sorgfalt für uns; auch jener hört es und hält es für eine Schmach. Ich höre, daß er gestorben, und staune über seine Macht, daß er, obgleich dem Tode unterworfen, vom Tode nicht überwunden wurde, sondern denselben aufhob; auch jener hört es, und hält es für Ohnmacht. Jener hört von der Auferstehung und erklärt sie als Fabel; ich aber nehme den Beweis aus den Begebenheiten selber und bete den Rathschluß Gottes an.

Jener hört vom Taufbade und hält es einfach für Wasser; ich aber schaue nicht bloß auf das Sichtbare, sondern auf die Reinigung der Seele durch den heiligen Geist. Jener meint, ich sei bloß dem Körper nach abgewaschen worden; ich aber glaube, daß die Seele rein und Heilig geworden, und denke an das Grab, an die Auferstehung, die Heiligung, die Rechtfertigung, die Erlösung, die Annahme an Kindes Statt, die Erbschaft, das Himmelreich und die Mittheilung des Heiligen Geistes; denn ich beurtheile die Sache nicht nach dem äussern Scheine, sondern mit den Augen des Geistes. Ich höre vom Leibe Christi; anders verstehe ich das Gesagte, anders der Ungläubige.

Denn der sinnliche (natürliche) Mensch, heißt es, nimmt Das nicht auf, was vom Geiste kommt. Sinnlich ist nämlich Derjenige, der Alles auf kalte Vernunftschlüsse baut und keiner Hilfe von oben zu bedürfen wähnt, was eine Torheit ist. Auch die Augen sind schön und nützlich; wenn sie aber ohne Licht sehen wollen, so kann ihnen weder die Schönheit noch die eigene Kraft Etwas nützen, sondern schadet vielmehr. Ebenso verhält es sich mit der Seele (Vernunft): wenn sie ohne den Heiligen Geist sehen will, so steht sie sogar sich selber im Wege.

Fragmente aus "Homilien über den ersten Brief an die Korinther", Kap.7.1,2,4 - Johannes Chrysostomus († 407)
Quelle: Bliothek der Kirchenväter -

 

"Gerade Das zeigt am meisten, daß unser Glaube keine Täuschung ist; denn hienieden brachte er alles Unangenehme mit sich, das Angenehme aber verhieß er erst nach der Auferstehung"

Es war die Lehre, die da vorgetragen wurde, nicht allein darum schwer, weit sie strenge war, sondern auch, weil sie Leuten geprediget wurde, die von Jugend auf an Ungebundenheit, an Schamlosigkeit, an Zoten, Gelächter und Possen gewohnt waren. Wer von Denen, die ein solches Leben führten, mußte nicht zurückgeschreckt werden, wenn er hörte: „Wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt und Mir nachfolgt. Der ist meiner nicht wert;“ und: „Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert, und den Sohn mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter zu entzweien?“ Und wer mußte nicht wanken, nicht widerstreben, wenn er hörte: „Wer Haus und Heimat, Hab’ und Gut nicht verläßt, ist meiner nicht wert?“ Allein sie wurden nicht nur nicht abgeschreckt, wiesen Das, was sie hörten, nicht nur nicht ab, sondern eilten herbei, stürzten sich in die Gefahren und beeiferten sich, diese Vorschriften zu erfüllen.

Welchen der damaligen Zeitgenossen sollte es nicht abschrecken, wenn er den Ausspruch hörte, daß wir von jedem unnützen Worte werden Rechenschaft ablegen müssen; und: daß, wer ein Weib ansieht mit sinnlicher Begierde, mit Ihr einen Ehebruch begangen hat; und: daß, wer ohne Grund zürnet, der Hölle verfallt? Und doch eilten Alle berbei, und Viele taten sogar mehr, als geboten war. Was zog sie also an? War es nicht offenbar die Kraft des Verkündeten?

Alles läßt sich leichter umstoßen als Religionsgebräuche. Nebst der Gewohnheit war auch noch die Scham ein großes Hinderniß und der Schein, daß man in seinem Alter und sogar von Unwissenden sich eines Bessern müsse belehren lassen. Und was Wunder, wenn Dieses in Betreff des Geistes geschah, da die Gewohnheit sogar auf den Körper einen mächtigen Einfluß ausübt! Zur Zeit der Apostel gesellte sich noch ein anderes mächtiges Hinderniß dazu, daß sie nämlich nicht nur eine uralte Gewohnheit umstürzten, sondern daß dieser Umsturz auch mit Gefahren verknüpft war. Denn sie zogen die Zuhörer nicht von einer Gewohnheit zu einer andern, sondern von einer mit Sicherheit verbundenen Gewohnheit zu Dingen, welche Gefahren drohten. Denn wer da glaubte, mußte alsbald Einziehung der Güter, Verfolgung Verbannung aus dem Vaterlande erwarten, das Schrecklichste ertragen, von Allen gehaßt, von Angehörigen und Fremden als gemeinsamer Feind angesehen werden. Hätten sie die Menschen vom Neuen zur alten Gewohnheit gerufen, so wäre Das schon eine schwierige Sache gewesen; da sie nun aber dieselben von dem Gewohnten zum Neuen beriefen und dieses Schreckliche noch dazu kam, so kannst du dir denken, wie groß dieses Hinderniß war.

Zu dem Gesagten trat aber noch ein anderer ebenso wichtiger Umstand, wodurch die Veränderung erschwert wurde. Nebst der Macht der Gewohnheit und nebst den Gefahren waren auch die Forderungen, die sie an die Menschen stellten, strenger, hingegen die Satzungen der Religion, von der sie dieselben abzogen, einfach und leicht. Denn sie riefen dieselben von der Unzucht zur Keuschheit, von der Trunksucht zur Nüchternheit, vom Lachen zu Thränen und zur Buße, von der Habsucht zur Armuth, von der Lebenslust zum Tode, von der Sicherheit zu den Gefahren, und sie forderten in Allem die größte Lebensstrenge; denn Paulus spricht: „Schamloses und thörichtes Gerede und Possen sollen nicht aus eurem Munde kommen.“ Und Das sprach der Apostel zu Denen, die nichts Anderes kannten, als sich zu berauschen und zu schmausen, und welche Feste feierten, die in nichts Anderem bestanden als in unanständigen Dingen, in Gelächter und allerlei Possen.

Gerade Das zeigt am meisten, daß unser Glaube keine Täuschung ist; denn hienieden brachte er alles Unangenehme mit sich, das Angenehme aber verhieß er erst nach der Auferstehung; somit, ich wiederhole es noch einmal, beweist eben Dieses, daß unsere Lehre göttlich ist. Denn warum sagte denn Keiner der Glaubenden: „Ich stimme nicht bei, ich kann Das nicht annehmen: die Leiden drohst du mir hier auf Erden, und das Gute verheissest du mir nach der Auferstehung? Woher kann ich denn erkennen, daß es eine Auferstehung geben wird? Wer von den Abgeschiedenen ist denn zurückgekommen? Wer von den Begrabenen ist denn auferstanden? Wer von ihnen hat denn gesagt, was nach dem Hinscheiden geschieht?“ Aber sie dachten an nichts Dergleichen und gaben selbst ihr Leben für den Gekreuzigten hin. Also gerade Das war ein Beweis einer großen Kraft, Menschen, welche nie etwas Solches gehört hatten, von so erhabenen Dingen zu überzeugen und sie zu vermögen, daß sie das Unangenehme wirklich ertrugen, das Gute aber erst abwarteten. Hätten die Apostel täuschen wollen, so würden sie würden das Gute als etwas hier zu Genießendes verheissen und das Schreckliche, sowohl das gegenwärtige als das zukünftige, mit Stillschweigen übergangen haben.

Fragmente aus "Homilien über den ersten Brief an die Korinther", Kap.7.7,8 - Johannes Chrysostomus († 407)
Quelle: Bliothek der Kirchenväter -

"So werden wir die zwei größten Vortheile gewinnen: wir werden im Besitze aller Güter und beim Verluste derselben Gott danken und nicht Sklaven dessen sein, was vorübergeht und nicht uns gehört."

Denn das Mein und Dein sind bloß leere Namen. Sagst du, das Haus sei dein, so ist Das ein Wort ohne die Sache; denn die Luft und die Erde und die Materie und du selbst, der du es gebaut hast, und alles Andere gehört dem Schöpfer. Und wenn auch die Nutznießung dein ist, so ist auch diese unsicher nicht bloß wegen des Todes, sondern auch schon vor dem Tode ob der Unbeständigkeit der irdischen Dinge. Das wollen wir uns also beständig einprägen und dadurch weise werden: nimmt dir Gott Vermögen, Ehre, Ruhm und selbst Leib und Leben, so nimmt er sein Eigentum; und nimmt er dir deinen Sohn, so ist es nicht dein Sohn, sondern sein Knecht, den er nimmt; denn nicht du hast ihn gebildet, sondern er hat Das getan; du warst zu seinem Eintritt (in die Welt) nur ein zufälliges Werkzeug; Gott hat Alles bewirkt. Laßt uns also Dank sagen, daß wir gewürdiget worden, zu diesem Werke Etwas beizutragen.

Denn Alles gehört Gott an. Wenn er nun ruft und abfordert, so laßt uns nicht wie undankbare Knechte die Rechenschaft fliehen, nicht das Gut des Herrn rauben. Deine Seele ist nicht dein, und dein Gut sollte dir angehören? Warum vergeudest du denn nutzlos, was nicht dein ist? Weißt du nicht, daß wir zur Rechenschaft gezogen werden, wenn wir davon einen schlechten Gebrauch machen? Weil es nicht uns gehört, sondern dem Herrn, ist es Pflicht, es den Mitknechten zuzuwenden. Darum wurde jener Reiche getadelt, weil er Dieß nicht gethan; so auch Diejenigen, die den Herrn nicht gespeist haben. — Sage also nicht: „Ich verzehre das Meinige, ich tue mir mit dem Meinigen gütlich“; denn du tust es nicht von dem Deinigen, sondern vom Fremden; ich sage: vom Fremden, weil du es so willst, während Gott will, daß Das dein Eigentum werde, was er um der Brüder willen dir anvertraut hat. Das Fremde wird nämlich dein, wenn du es auf Andere verwendest; gebrauchst du es aber sckwelgerisch für dich selbst, so wird, was dein war, fremdes Gut. Denn darum nenne ich es fremdes Gut, weil du es kaltherzig verzehrst und behauptest, es sei recht, daß du allein von dem Deinigen lebest. Du und dein Mitknecht habt Alles gemeinschaftlich, so wie Sonne, Luft und Erde und alles Andere gemeinschaftlich sind. Es verhält sich mit dem Gebrauche der Güter wie mit dem Körper: der ganze Körper und jedes einzelne Glied hat seine Verrichtung. Will das einzelne Glied nur für sich allein wirken, so verliert es seine eigene Kraft.

Ich will Das, was ich sage, deutlicher machen: Die Nahrung des Körpers, die für alle Glieder gemeinschaftlich gereicht wird, wird, falls sie bloß im Magen bleibt, dem Körper wie dem Magen fremd, wenn dieser sie nicht verdauen und in Nahrungssaft verwandeln kann. Wird sie hingegen gemeinschaftlich, so hat sowohl der Magen als jedes andere Glied Anteil daran. So ergeht es dir auch mit den Gütern: Genießest du dieselben allein, so verlierst du sie, (denn du wirst keinen Lohn davon haben); wenn du aber davon Andern Anteil gewährst, dann sind sie mehr dein Eigentum und dann wirst du davon einen Nutzen haben. Siehst du nicht, daß die Hände (dem Munde) dienen, der Mund (die Speisen) kaut und der Magen sie aufnimmt? Spricht wohl der Magen: Weil ich die Speisen aufgenommen, so muß ich auch Alles behalten? So darfst nun auch du in Betreff der Giiter nicht sprechen: Wer empfangen hat, ist verpflichtet mitzutheilen. Sowie es nun gefehlt ist, wenn der Magen alle Speisen behalten und davon Nichts mittheilen will, — er zerstört dadurch den ganzen Körper — so ist es auch gefehlt, wenn die Reichen Alles, was sie haben, für sich behalten wollen; denn dadurch verderben sie sich selber und Andere. Ebenso nimmt das Auge alles Licht auf, behält es aber nicht für sich allein, sondern erleuchtet den ganzen Körper; denn es liegt nicht in seiner Natur als Auge, das Licht für sich zu behalten. Auch die Nase, welche die Wohlgerüche empfindet, behält nicht alle für sich, sondern teilt sie auch dem Gehirne und dem Magen mit, und erquickt dadurch den ganzen Menschen. Auch die Füße gehen allein, tragen aber nicht bloß sich selbst herum, sondern setzen den ganzen Leib in Bewegung. Darum sollst auch du, was dir gegeben ist, nicht allein behalten, weil du dadurch dem Ganzen schadest und dir selbst vor Allem.

Du teilst von deinem Reichtume Niemanden mit? Dann sollst du auch von keinem Andern Etwas empfangen. Geschieht aber Das, so wird Alles umgekehrt: denn überall, beim Säen, in der Schule, bei Gewerben, ist Geben und Empfangen der Ursprung von vielem Guten. Denn will Jemand seine Kunst für sich behalten, so schadet er sich und der ganzen menschlichen Gesellschaft, und der Landmann, der seine Getreide zu Hause vergräbt und verwahrt, verursacht drückende Hungersnot. So stürzt sich auch der Reiche, wenn er es mit seinem Gelde ebenso macht, noch vor dem Armen in’s Elend, indem er sich ein schrecklicheres Höllenfeuer bereitet. Wie also die Lehrer, selbst wenn sie viele Schüler haben, jedem ihre Kunst mitteilen: so laß auch du Viele an deinen Wohltaten Teil nehmen, und alle mögen sprechen: Diesen hat er aus der Hungersnot, Jenen aus Gefahren gerettet; um Jenen war es geschehen, wenn nebst der Gnade Gottes nicht du ihn geschützt hättest. Rühmen mögen sie, wie du den Einen von Krankheit befreit, den Andern vor Schmach bewahrt. Andere als Fremde beherbergt. Andere, die nackt waren, bekleidet habest. Diese Worte sind mehr wert als der größte Reichtum und unermeßliche Schätze, und erregen bei Allen mehr Bewunderung als goldgestickte Kleider, Pferde und Sklaven. Denn diese Dinge bewirken, daß du als ein lästiger Mensch, als ein gemeinschaftlicher Feind erscheinest; jenes aber, daß du wie ein Vater und Wohltäter aller gerühmt wirst, und was das Größte ist, Gottes Wohlgefallen begleitet allüberall deine Handlungen.

Fragmente aus "Homilien über den ersten Brief an die Korinther", Kap.10.3,4 - Johannes Chrysostomus († 407)
Quelle: Bliothek der Kirchenväter -

"Das alles können Menschen nie sehen, sondern nur Jenes Auge, das nimmer schläft; Dieses werden wir nie hintergehen, wenn wir auch die Menschen betrügen."

Ich weiß nicht, wie mit andern Übeln auch die Krankheit der Spähsucht und des unzeitigen Einmischens in fremde Händel sich der menschlichen Natur bemächtiget hat. Strafend äusserte sich darüber auch Christus: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.“ Diese (Sünde) ist auch nicht, wie die übrigen Sünden, mit irgend einer Wollust verbunden, sondern hat nur Strafe und Rache zur Folge. Denn während wir zahllose Fehler an uns haben und Balken in den Augen, sind wir scharfe Ausspäher der Fehler unseres Nebenmenschen, Fehler, die sich von Splittern gar nicht unterscheiden.

„Was richtest du deinen Bruder? und warum verachtest du deinen Bruder?“ Denn dir, o Mensch, ist es nicht aufgetragen, Andere zu richten, sondern dich selber zu prüfen. Warum maßest du dir das Richteramt des Herrn an? Ihm steht das Richteramt zu, nicht dir.

Wie nun? dürfen die Lehrer Dieses auch nicht tun? - wohl dürfen sie es bei offenbaren und bekannten Sünden tun, und zwar zur rechten Zeit, und dann mit Schmerz und Betrübniß, und nicht aus Eitelkeit und Stolz.

Jener Richter urtheilt nicht bloß über das Äussere, sondern zieht auch das Geheime an’s Licht. — Unser Urtheil ist also aus zwei, oder eigentlich aus drei Gründen nicht richtig. Erstens, weil wir selbst dann, wann wir uns Nichts bewußt sind, eines Andern bedürfen, der uns unsere Fehler genau vor Augen stellt. Zweitens, weil uns das Meiste, was geschieht, unbekannt und verborgen bleibt; und drittens endlich, weil uns manche Handlung Anderer als tugendhaft erscheint, während sie doch nicht aus echter Gesinnung hervorgeht. Warum sprecht ihr also: Dieser oder Jener hat gar keinen Fehler; Dieser ist besser als Jener?

Zwar tun wir auch viel Gutes, aber nicht aus reiner Absicht. So loben wir Viele, nicht in der Absicht, sie zu verherrlichen, sondern dadurch Andere zu kränken. Da ist nun die Tat an und für sich gut (denn es wird der Brave gelobt), die Absicht aber schlecht; denn sie entsteht aus teuflischer Gesinnung. So handelt Mancher oft, nicht weil er sich mit dem Nebenmenschen erfreut, sondern weil er die Absicht hat, einem Andern wehe zu tun.

Und wieder, es hat Jemand eine schwere Sünde begangen; ein Anderer, der ihn stürzen will, sagt, er habe ja Nichts getan, und tröstet den Sünder, indem er sich auf die menschliche Schwachheit beruft. Dieß tut er aber oft, nicht aus Mitleid (gegen den Fehlenden), sondern um ihn träger zu machen.

So greift auch manchmal Einer den Andern an, nicht um ihn zurechtzuweisen und zu ermahnen, sondern um dessen Fehler öffentlich bekannt zu machen und zu vergrößern. Die Absichten selber aber kennen die Menschen nicht; Der aber die Herzen durchforscht, kennt sie genau, und wird einst Dieß alles an’s Licht bringen.

Wenn wir also selbst dann, wenn wir uns Nichts vorzuwerfen haben, nicht von aller Schuld frei sind, und auch dann Strafe verdienen, wenn wir unsere guten Werke nicht in guter Absicht verrichten: so bedenke, wie sehr sich die Menschen in ihren Urteilen täuschen müssen. Sprich nicht: „Finsternis und Wände umgeben mich; wer sieht mich?“ Denn Wer das Herz eines Jeden von uns gebildet hat, Der weiß Alles, und die Finsterniß verfinstert Nichts vor Ihm. Jedoch mit Recht spricht der Sünder: „Finsterniß, und Wände umgeben mich;“ denn wäre nicht Finsterniß in seiner Seele, so würde er nicht die Gottesfurcht verkennen und so verwegen handeln. Wäre nicht erst der Verstand verfinstert, so fände die „Sünde keinen so freien Eingang.“

Fragmente aus "Homilien über den ersten Brief an die Korinther", Kap.11.1,2,3 - Johannes Chrysostomus († 407)
Quelle: Bliothek der Kirchenväter -

"Weit geringere Sünden scheuen wir uns zu begehen vor den Augen der Menschen, unter den Augen Gottes nicht also. Daher ist alles Unheil entstanden, daß wir bei wirklich sündhaften Dingen nicht Gott, sondern die Menschen fürchten. Darum fliehen wir auch, was wahrhaft gut ist, weil es dem großen Haufen nicht so erscheint, und untersuchen nicht das Wesen der Dinge, sondern schauen auf den Beifall der Menge."

So ergeht es uns auch wieder in Bezug auf das Böse: was nicht gut ist, sondern nur der Menge so vorkömmt, dem streben wir nach aus eben derselben Gewohnheit, so daß wir uns nach beiden Seiten verderben. Da wir uns nun auf diese Weise ihnen unterworfen und sie zu unsern Gebietern gemacht haben, so scheint diesen, unsern Herren, Vieles böse, was in der Tat nicht böse ist, und das vermeiden wir nun ebenfalls. Vielleicht scheinen diese Worte Vielen etwas dunkel; ich muß mich also deutlicher ausdrücken.

So scheint es z. B. Vielen schimpflich, in Armut zu leben; und wir fliehen die Armut, nicht als ob sie wirklich schimpflich wäre, und als wenn wir hievon überzeugt wären, sondern weil sie unsern Gebietern schimpflich vorkommt und wir diese fürchten. Ebenso betrachten es gar Viele als eine Schande und Erniedrigung, geschmäht und verachtet zu werden und keine Macht zu besitzen; und so fliehen wir auch Dieses, nicht weil wir selbst es verdammen, sondern nach dem Urteil unsrer Gebieter.

Auf der andern Seite stürzen wir uns in dasselbe Verderben. Denn der Reichtum scheint uns etwas Gutes zu sein; ebenso Glanz, Ehre und Ruhm, und so trachten wir auch wieder danach, ohne die Natur der Sache untersucht zu haben, ob sie wirklich gut sei, sondern geleitet von der Meinung unsrer Gebieter. Unser Gebieter ist das Volk; dieser große Haufe aber ist ein grausamer Herr und harter Tyrann! Denn: es ist nicht einmal nöthig, daß er uns befehle, ihm zu gehorchen; es genügt, daß wir wissen, was er will, und wir tun es ohne Befehl; so groß ist unsere Zuneigung zu ihm. Gott ermahnt alle Tage, und man hört nicht auf Ihn; aber die regellose Menge und der Pöbel darf nicht erst befehlen, sondern braucht nur zu äussern, was ihm gefalle, und wir gehorchen sogleich in allen Stücken.

Aber, heißt es, wie kann man denn diesen Gebietern entrinnen? Dadurch, daß man verständiger handle als sie, daß man das Wesen der Dinge erforsche, das Urteil der Menge verwerfe und vor Allem daran sich gewöhne, bei wahrhaft schändlichen Dingen nicht die Menschen, sondern jenes immerwachende Auge zu fürchten, bei guten Werken aber auf die von Ihm versprochenen Kronen zu schauen. So werden wir dann auch in andern Dingen ihre Herrschaft nicht länger ertragen. Denn wer bei Ausübung des Guten sich mit dem Beifalle Gottes begnügt und die Menschen für unwert erachtet, seine guten Werke zu kennen, der wird auch beim Gegenteile auf sie keine Rücksicht nehmen.

Und wie, fragst du, soll das geschehen? Bedenke, was Gott ist, und was der Mensch; wen du verlassest und an wen du dich haltest, und bald wird Alles besser werden. Der Mensch ist ebenso sündhaft wie du, unterliegt demselben Gerichte, derselben Strafe. Der Mensch ist der Eitelkeit unterworfen, hat kein zuverlässiges Urteil und bedarf der Zurechtweisung von oben. Der Mensch ist Staub und Asche; wenn er lobt, so lobt er oft ohne Grund, aus Schmeichelei oder aus Feindschaft; und wenn er lästert und anklagt, so tut er es aus derselben Stimmung. Nicht so Gott: Sein Ausspruch ist tadellos, Sein Urteil unparteiisch. Darum muß man sich immer an Ihn halten; jedoch nicht allein darum, sondern auch, weil Er dich erschaffen, weil Er schonender als Alle mit dir verfährt und dich mehr liebt, als du dich selbst zu lieben vermagst.

Fragmente aus "Homilien über den ersten Brief an die Korinther", Kap.12.3,4 - Johannes Chrysostomus († 407)
Quelle: Bliothek der Kirchenväter -

"So kann Derjenige, der Nichts hat, Alles besitzen, so Derjenige, der Nichts besitzt, Alles erwerben. Wenn wir aber Alles besitzen, so sind wir von Allem entblößt. Vielleicht scheint auch diese Rede räthselhaft, und dennoch ist sie es nicht."

Der Geiz ist alter Sauerteig: wo immer er hinfällt, und in welches Haus er kommt, da verunreinigt er Alles; der kleinste Gewinn mit Unrecht verdirbt dir das ganze Vermögen. So hat oft ein kleines Unrecht den ehrlich erworbenen Wohlstand des Hauses untergraben. Nichts ist ansteckender als der Geiz; du magst deinen Schatz einschließen, mit Türen und Riegeln verwahren. Alles umsonst! Du hast den Geiz, den ärgsten Räuber, der dir Alles wegnehmen kann, miteingeschlossen.

Wie aber, fragst du, wenn vielen Geizigen ein solches Schicksal nicht begegnet? Gewiß wird ihnen dieses begegnen, wenn auch nicht gleich; und wenn sie auch jetzt dem Unglück entrinnen, so fürchte um so mehr; denn sie werden für ein größeres aufgespart; ja sollten sie auch selber der Strafe entwischen, so werden ihre Erben dieselbe verbüßen. Aber wie, ist denn Das gerecht? fragt man. Ja, ganz gerecht; denn wer ungerechtes Gut geerbt hat, besitzt doch immer fremdes Eigentum, wenn er es auch nicht selber geraubt hat; und weil er Das genau weiß, so ist es gerecht, daß er gestraft werde.

Wenn Dieser oder Jener Etwas geraubt hätte und du es empfangen hättest und der Eigentümer, dem es geraubt worden, erschiene und es zurückforderte: würde da die Entschuldigung, daß nicht du es geraubt hast, genügen? Sicherlich nicht. Sage mir, was würdest du antworten, wenn man dich darauf verklagte? Etwa, daß ein Anderer es geraubt? Aber du hast es doch im Besitz. Jener hat es geraubt, und du hast davon den Genuß. Das erkennen auch die bürgerlichen Gesetze an; denn sie wollen, daß man all sein Eigentum von Dem zurückfordere, bei dem es gefunden wird, ohne sich an Diejenigen zu kehren, die es geraubt oder entwendet haben.

Wenn du also Die jenigen kennst, denen Unrecht geschah, so erstatte es wieder und tue, was Zakhäus getan, der noch eine große Zulage gab; kennst du sie aber nicht, so will ich dir einen andern Weg zeigen und das Mittel, den Schaden wieder gut zu machen, dir nicht verschließen: verteile Dieß alles unter die Armen, und so wirst du jenes Übel wieder gut machen. Wenn Einige solche Güter auf ihre Kinder und Enkel vererbten, so haben sie dafür anderswo zu büßen gehabt.

Und was rede ich von dem gegenwärtigen Leben? Eine andere Sprache werden sie führen an jenem Tage, wenn sie beide, der Räuber und der Beraubte, nackt dastehen werden; doch sie werden nicht auf gleiche Weise in Nacktheit erscheinen: von Reichthümern werden sie zwar beide entblößt, der Eine aber zugleich mit Lastern, die daraus entstanden, bedeckt sein. Was wirst du denn anfangenan jenem Tage, wenn Derjenige, dem das Unrecht geschah, und der Alles verlor, vor den furchtbaren Richterstuhl hintritt und du keinen Verteidiger hast? Was wirst du denn dem Richter antworten? Hienieden kannst du wohl das Gericht der Menschen bestechen, jenes aber dort keineswegs, ja auch nicht einmal hier; denn jenes Gericht ist auch jetzt schon vorhanden: Gott schaut nämlich, was geschieht, und er ist, auch ungerufen, den Unrecht Leidenden nahe. Wenn auch der Unrecht Leidende es selbst nicht verdient, daß ihm Genugtuung werde, so wird Gott ihn doch sicherlich rächen, weil ihm das Geschehene mißfällt.

Warum, wirst du fragen, geht es denn manchem Ungerechten so wohl? Nicht bis zum Ende wird es so gehen. Höre, was der Prophet spricht: „Auf Bösewichter sei nicht eifersüchtig; denn schnell wie Gras werden sie verwelken!“ Denn sage mir: wo ist nach seinem Tode der Räuber? Wo sind die glänzenden Hoffnungen? wo der berühmte Name? Ist nicht Alles vorüber? War nicht Alles, was ihm gehörte, Traum und Schatten? Ebendieselbe Bewandtnis hat es mit jedem Ungerechten, sei es im Leben, sei es nach seinem Tode.

Fragmente aus "Homilien über den ersten Brief an die Korinther", Kap.15.5,6 - Johannes Chrysostomus († 407)
Quelle: Bliothek der Kirchenväter -

"Die reich werden wollen, fallen in Versuchung.“ I.Tim.6,9

Dieses sage ich euch, nicht als wenn Reichsein eine Sünde wäre, sondern weil es Sünde ist, den Armen den Reichtum nicht mitzutheilen und ihn zu mißbrauchen. Denn Gott hat nichts Böses erschaffen, sondern „Alles ist sehr gut“. So ist denn auch das Geld etwas Gutes, aber erst dann, wenn es seinen Besitzer nicht beherrscht und den Nächsten der Armuth entreißt. Denn auch jenes Licht ist nicht gut, das die Finsterniß nicht aufhebt, sondern noch erhöht; so möchte ich auch jenen Reichtum, der die Armut nicht aufhebt, sondern vermehrt, nicht Reichtum benennen.

Denn wer reich ist, sucht nicht von Andern zu empfangen, sondern ihnen zu helfen; wer hingegen von Andern zu empfangen sucht, der ist nicht reich, sondern arm. So ist denn auch nicht der Reichtum schlimm, sondern die arme Seele, die den Reichtum in Armut verwandelt. Diese (Reichen) sind elender als die Bettler auf den Straßen, als die Krüppel und Verstümmelten; in ihren seidenen Prachtkleidern sind sie elender als jene von Lumpen umhüllt; sie, die stolz auf dem Markte einherprangen, sind beklagenswerter als Jene, die an den Straßenecken umherschleichen, in die Vorhöfe eindringen und bettelnd hinaufschreien. Denn Diese preisen Gott und sprechen mitleiderregende und weisheitsvolle Worte; darum haben wir mit ihnen Erbarmen, reichen ihnen die Hand und machen ihnen keine Vorwürfe; die schlimmen Reichen hingegen stoßen harte und unmenschliche Worte, Worte voll Raub und teuflischer Gier aus; darum werden sie auch von Allen gehaßt und verlacht.

Betrachte einmal, was von allen Menschen als schimpflich angesehen werde, ob von den Reichen fordern oder von den Armen! Offenbar von den Armen fordern. Das tun nun aber die Reichen, denn sie wagen es nicht, den noch Reichern zu nahen. Die Bettler aber heischen von den Reichen; kein Bettler fordert Etwas von einem Bettler, sondern vom vermögenden Manne; der Reiche hingegen zerrt an dem Bettler. Sage mir, was ist ferner anständiger, von Solchen Etwas annehmen, die es gerne geben und Dank verdienen, oder die Menschen gegen ihren Willen nötigen und ihnen lästig fallen? Offenbar ist es anständiger, die Widerwilligen nicht zu behelligen. Aber auch Das tun die Reichen; denn die Armen empfangen ihre Gabe von den Vermögenden und sind dafür dankbar; die Reichen aber nehmen von Solchen, die nur gezwungen und widerwillig geben; und das ist ein Beweis größerer Armut. Möchte doch nicht leicht Jemand zu einem Gastmahle gehen, wenn nicht der Einladende seinem Gast dafür dankt: wie sollte es anständig sein, mit Gewalt Geld zu erpressen? Fliehen und verabscheuen wir nicht darum die bellenden Hunde, weil sie uns fortwährend nachlaufen? Das tun auch die Reichen. „Allein es ist schöner, wenn der Geber aus Furcht gibt.“ Das wäre das Ällerschändlichste; denn wie sollte Derjenige nicht höchst lächerlich sein, der Alles in Bewegung setzt, um nur zu erwerben? Werfen wir doch oft, aus Furcht vor den Hunden, diesen Das zu, was wir in Händen haben. Sage mir wieder: was ist schimpflicher, wenn ein Mensch, der in Lumpen gehüllt ist, bettelt oder einer, der in Seide prangt? Wenn nun ein Reicher arme Greise, die noch dazu Kinder haben, zu gewinnen sucht, um ihre Erbschaft zu erhalten, — ist ihm Das zu verzeihen?

Wenn ihr wollt, so laßt uns auch die Sprache untersuchen, welche die reichen Bettler führen und welche die armen. Was sagt nun der Arme? Wer Almosen spendet, möge nicht kargen, weil er von Gottes Gaben mitteilt; Gott sei gütig und werde Größeres wiedererstatten: das sind lauter Worte der Weisheit, der Ermahnung und des guten Rates. Er bittet, du sollst auf den Herrn hinschauen, und er benimmt dir die Furcht vor künftiger Armut. So findet man schöne Belehrungen in den Reden der Bettler. Welches sind aber die Reden der Reichen? Sie ziemten sich eher für Schweine, Hunde, Wölfe und andere Raubtiere. Denn Einige derselben reden beständig von Tafeln, Speisen, Leckerbissen, von allerlei Wein, von Salben, Kleidern und allem möglichen andern Aufwand; Andere sprechen von Zinsen und Wuchergeschäften, erdichten Schuldbriefe, als hätten sie dieselben von ihren Vätern und Großvätern überkommen, und steigern so die Schuld zu einer unerschwinglichen Summe und nehmen hier das Haus weg, dort das Feld, dort einen Sklaven, dort die sämmtliche Habe. Und was soll ich von den Testamenten sagen, die anstatt mit Tinte mit Blut geschrieben sind? Denn wenn sie sehen, daß Jemand etwas Weniges besitzt, schüchtern sie ihn durch Vorspiegelung einer großen Gefahr ein oder hintergehen ihn durch nichtssagende Versprechungen, daß er alle Verwandten, die oft vor Hunger umkommen, übergehen und sie an deren Stelle zu Erben einsetzen soll. Übersteigt Das nicht die Wut und Raubgier der wilden Thiere?

Darum ermahne ich, laßt uns allen schmählichen und mörderischen Reichtum dieser Art fliehen, laßt uns nach den geistigen Gütern streben und uns einen Schatz im Himmel sammeln! Denn wer einen solchen besitzt, der ist reich und glücklich in Dem, was hienieden und droben ist. Denn wer dem Worte Gottes gemäß arm sein will, dem steht jede Tür offen: denn wer um Gottes willen sich aller Güter entäussert, dem wird Jeder von dem Seinigen mittheilen; wer aber Weniges mit Unrecht erstrebt, dem bleiben alle Türen verschlossen. Damit wir also die irdischen und himmlischen Güter erlangen, laßt uns jenes bleibende Gut und den unvergänglichen Reichtum erwählen, der uns allen zukommen möge durch die Gnade und Menschenfreundlichkeit unseres Herrn Jesus Christus. Amen.

Fragmente aus "Homilien über den ersten Brief an die Korinther", Kap.13.5 - Johannes Chrysostomus († 407)
Quelle: Bliothek der Kirchenväter -