Höchste Zeit mit den Heiligen zu leben

Sonntag, den 10. Januar 2016 um 20:39 Uhr
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Im Verlauf des Jahres gedenkt die Kirche der Heiligen, damit alle nachfolgenden Generationen sich ihr Leben, ihre Werke, Worte und vor allem ihre Denkweise, die Herzensbildung aneignen können. So dringt die Heiligkeit in ununterbrochener Tradition in unsere sündige Welt ein, greift Platz darin. Auch in unserer Zeit wandeln heilige Menschen auf unserer Erde, Gottgefällige, Tempel des Heiligen Geistes – diese lebendigen Vorbilder zur Nachfolge. Erkennen kann sie aber nur der, der im selben Geist zu leben beginn

„Gegeben ist uns von Gott Weisheit, Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung.” (1 Kor.1, 30.)

- Höchste Zeit mit den Heiligen zu leben - Vorwort
- Höchste Zeit mit den Heiligen zu leben - Hl. GREGOR d. Theologe
- Höchste Zeit mit den Heiligen zu leben - Hl. Ioann Cassian d. Römer
- Höchste Zeit mit den Heiligen zu leben - Hl. Benedikt v. Nursia, Abt
- Höchste Zeit mit den Heiligen zu leben - Hl. Johannes Klimakos
- Höchste Zeit mit den Heiligen zu leben - Hl. Athanasius der Grosse
- Höchste Zeit mit den Heiligen zu leben - Hl. Kyrill, Erzbischof v. Alexandria
- Höchste Zeit mit den Heiligen zu leben - Hl. Irenäus, Bischof v. Lyon
- Höchste Zeit mit den Heiligen zu leben - Hl. Märt. Dionysios d. Areopagit
- Höchste Zeit mit den Heiligen zu leben - Hl. Johannes Chrysostomos
- Höchste Zeit mit den Heiligen zu leben - Hl. Ambrosius, Bischof von Mailand
- Höchste Zeit mit den Heiligen zu leben - Nachwort
- Höchste Zeit mit den Heiligen zu leben - Alle Seiten


Indem sie dieses und vieles andere bei den Dienern des göttlichen Wortes finden, nehmen sie von allen Seiten her die Stacheln der göttlichen Liebe in sich auf und denken nur an den Geliebten und geben schon vor der erhofften Unsterblichkeit ihrem Leibe die Geistigkeit. Mögen auch wir diese Liebesglut in uns einziehen lassen und, von der Schönheit des Bräutigams bezaubert, nach den verheißenen Gütern verlangen, die Menge der Wohltaten beherzigen, die Rechenschaft wegen Undanks fürchten und Liebhaber und Beobachter seiner Gebote werden!


7. Febuar - Hl. GREGOR d. Theologe, Erzbischof v. Konstantinopel
Durch den Verstand führt das Wort zu Gott.

Meine Gutmütigkeit löst mir die Zunge, und das Gesetz des Geistes läßt mich über Menschenbräuche hinwegsehen. Dem Frieden weihe ich das Wort; nichts anderem habe ich es zuvor gewidmet. Denn als noch die Glieder gegen uns in Aufruhr waren und der große, ehrwürdige Körper Christi uneins und zerrissen war, so daß fast „unsere Gebeine im Totenreiche ausgestreckt dalagen”, gleich der Erde, die vom Pfluge tief aufge wühlt und auf dem Boden ausgebreitet wird, als der Böse noch das nicht zerschnittene, ungeteilte, vollständig gewobene Gewand auftrennte, um es sich ganz zu eigen zu machen, was ihm durch uns, nicht aber durch die, welche Christum gekreuzigt hatten, möglich wurde, da gab ich eine Sperre meiner Zunge, die nicht gewöhnt ist, ohne weiteres zu sprechen; denn ich glaubte, ein geordnetes Geistesleben verlange, daß ich zunächst durch die Philosophie der Tat mich reinige, alsdann den Mund des Verstandes öffne, um Geist einzuatmen und schließlich ein gutes Wort zu reden und Gottes vollkommene „Weisheit unter den Vollkommenen zu verkünden”.

Wie nach dem trefflichen und sehr weisen Ausspruche Salomons jedes Ding, das kleine wie das große, seine Zeit hat, so wußte ich so gut wie ein anderer, daß es auch eine Zeit des Redens und eine Zeit des Schweigens gibt. Deshalb wurde ich stumm; allem Guten fernegerückt, entsagte ich. Eine Wolke zog sich gleichsam über meine Seele und verhüllte den Strahl meiner Rede. Tag und Nacht lebte mein Schmerz neu auf. Brennende Erinnerungen an die Trennung der Brüder war mir alles.

Nur aus dem einen Grunde könnte man die Erinnerung an das Leid wachrufen, damit wir nämlich durch Erfahrung klug werden und wie der genesene Kranke das meiden, was uns ins Leid gestürzt hat.

Da nunmehr „Leid, Schmerz und Klagen schwanden”, da wir, die Kinder des Einen, eins wurden, wir als Kinder der Dreieinigkeit Natur, Geist und Ehre teilten, als Kinder des Logos die Torheit ab legten, als Kinder des Geistes nicht gegen-, sondern mit einander erglühten, als Kinder der Wahrheit eines Sinnes und einer Rede wurden, als Kinder der Weisheit Verstand annahmen, als Kinder des Lichtes „ehrbar wie am Tage wandelten”, als Kinder des Weges gemeinsam den geraden Weg gingen, als Kinder der Türe alle im Innern blieben, als Kinder des Lammes und des Hirten sanft wurden und in einen Stall und unter einen Hirten traten

Da der, welcher alles macht und zum besten lenkt, uns den Schmerz in Freude verwandelte und das Bußkleid mit Wonne vertauschte, nehme ich von Vergangenheit und Schweigen Abschied, weihe ich mich der Gegenwart und meine Rede euch, bzw. Gott, um ihm zu danken und ihm ein gebührendes Opfer zu bringen, ein Geschenk, das reiner ist als Gold, wertvoller als Edelsteine, kostbarer als Gewebe, würdiger als das Opfer des (mosaischen) Gesetzes, heiliger als das Opfer der Erstgeburt, Gott wohlgefälliger als ein junges Rind mit noch nicht entwickelten Hörnern, Klauen und Sinnen, wohlgefälliger als Rauchopfer, als Brandopfer, als Tausende von fetten Widdern.

Gott opfere ich, ihm weihe ich, was allein mir noch übriggeblieben ist, worin allein ich reich bin. Alles andere nämlich habe ich für das Gebot und für den Geist hingegeben. Die kostbare Perle habe ich gegen alles, was ich je besaß, eingetauscht; ich wurde zum Großhändler, vielmehr, ich habe den Wunsch, der Großhändler zu werden, welcher um geringe, vollständig vergängliche Werte die großen, unzerstörbaren Schätze gekauft hat. Als Diener des Wortes halte ich mich nur noch an das Wort. Niemals dürfte ich mit Überlegung diesen Besitz vernachlässigen. Ja ich schätze ihn, Hebe ihn und freue mich darüber mehr als über alle anderen Schätze zusammen, an denen die Masse ihre Freude hat. Das Wort nehme ich zum Begleiter in meinem ganzen Leben, zum guten Ratgeber, zum Genossen, zum Führer auf dem Wege in den Himmel, zum willigen Kriegskameraden.

Da ich alle Freuden dieser Welt verachte, gehört nach Gott dem Worte alle meine Liebe. In höherem Grade aber gehört sie Gott; denn durch den Verstand führt das Wort zu Gott, der nur mittels des Wortes richtig erfaßt und festgehalten wird und in uns hineinwächst.

Mit dem Worte bändige ich die Ausgelassenheit, beruhige ich den verzehrenden Neid, stille ich den das Herz einschnürenden Schmerz, mäßige ich die Sinneslust, schränke ich den Haß, nicht aber die Liebe ein; denn der Haß braucht seine Schranken, die Liebe aber darf keine Grenzen kennen. Das Wort macht mich im Reichtum mäßig, in der Armut hochherzig. Es überredet mich, mit guten Läufern zu laufen und dem Fallenden die Hand zu reichen, mit dem Kranken zu leiden und mich mit dem Gesunden zu freuen. Begleitet mich das Wort, dann ist mir Vaterland und Fremde ein und dasselbe, und örtliche Veränderungen in der Fremde sind mir egal, nicht allerdings eine Verbannung aus der Heimat. Das Wort trennt mir die Welten; es entfremdet mich der einen und befreundet mich der anderen.

(Fragmente aus "Erste Rede über den Frieden und zwar mit den Mönchen, nach Beobachtung des Stillschweigens, gehalten in Gegenwart des Vaters" - Hl.Gregor d.Theologe)


13. März - Hl. Ioann Cassian d. Römer
„Selig sind, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott anschauen.“

Denn die anhaltende Lesung oder die Beschwerde des Fastens werden nur in der Gegenwart zur Reinigung des Herzens und zur Zähmung des Fleisches mit Nutzen geübt, solange das Fleisch begehrt wider den Geist. Wir sehen, daß dergleichen Dinge zuweilen auch in der Gegenwart bei Seite gethan werden von Denen, die durch zu viele Arbeit oder Krankheit des Körpers oder Alter ermattet sind, und daß sie also von dem Menschen nicht beständig geübt werden können. Um wie viel mehr werden sie also im zukünftigen Leben aufhören, wenn dieß Verwesliche die Unverweslichkeit angezogen haben wird und dieser Körper, der jetzt thierisch ist, als geistiger auferstanden sein und das Fleisch angefangen haben wird, nicht mehr so zu sein, daß es gegen den Geist gelüstet?

Und deßhalb halten wir die Übung der genannten Werke für nöthig, weil man ohne sie nicht zum Gipfel der Liebe aufsteigen kann. Auch die, welche ihr Werte der Liebe und Barmherzigkeit nennt, sind nothwendig in dieser Zeit, da noch unbillige Verschiedenheit herrscht. (10 "Nicht der Lohn, sondern die Handlung werde aufhören")

Alles also müssen wir wegen dieser Reinheit thun und anstreben; für diese müssen wir die Einsamkeit suchen; für sie müssen wir, wie wir gesehen haben, die Fasten, die Nachtwachen, die Arbeiten, Blöße des Körpers, die Lesungen und übrigen Tugendübungen auf uns nehmen, damit wir nemlich durch dieselben unser Herz von allen gefährlichen Leidenschaften frei machen und bewahren können und auf diesen Stufen zu der Vollkommenheit der Liebe aufstreben und aufsteigen. Aber wir wollen nicht wegen dieser Übungen, wenn uns vielleicht eine erlaubte und nothwendige Beschäftigung dazwischen kommt, so daß wir unsere gewohnte Eintheilung nicht einhalten können, in Traurigkeit fallen oder in Unwillen und Zorn, zu deren Bekämpfung wir ja gerade das thun wollten, was unterlassen wurde. Denn der Gewinn des Fastens ist nicht so groß als der Aufschub des Zornes, noch wird aus der Lesung eine so große Frucht geschöpft, als wir durch Verachtung des Bruders Schaden leiden. Was also nur um des Andern willen da ist, nemlich die Fasten, Nachtwachen, Zurückgezogenheit, Betrachtung der Schriften, müssen wir wegen des Hauptzieles, d. i. der Reinheit des Herzens, welche die Liebe ist, üben und nicht wegen jener Dinge diese Haupttugend trüben; wenn diese in uns unversehrt und unverletzt dauert, so wird es nicht schaden, wenn Etwas von dem, was nur aus ihr folgt, nach Bedürfniß unterlassen wird. Ebenso wird es uns Nichts nützen, Alles gethan zu haben, wenn diese genannte Hauptsache weg ist, für deren Erlangung wir Alles thun müssen.

Denn nicht dazu sucht sich Einer die Geräthe einer Kunst zu verschaffen und herzurichten, damit er sie ungebraucht besitze und so die Frucht des Vortheils, der aus ihnen gehofft wird, in den bloßen Besitz der Instrumente lege, sondern damit er mit ihrer Hilfe die Kunde und den Endzweck jenes Faches, dessen Hilfsmittel sie sind, nachhaltig erlerne. So sind also Fasten, Nachtwachen, Betrachtung der Schrift, Blöße und Beraubung alles Vermögens nicht die Vollkommenheit, sondern die Mittel zur Vollkommenheit, weil nicht in ihnen der Endzweck jenes Lehrgegenstandes liegt, sondern weil man durch sie zum Endziel kommt. Vergebens also wird diese Übungen vornehmen, wer immer mit ihnen als dem letzten Gute zufrieden die Absicht seines Herzens gerade hier festgesetzt hat und nicht all’ sein Tugendstreben ausgedehnt hat auf die Erfassung des Zieles, um deßwillen diese Dinge zu begehren sind; er hat zwar die Instrumente dieser Wissenschaft, aber er kennt das Ziel nicht, in welchem alle Frucht enthalten ist. Was also immer diese Reinheit und Ruhe unseres Geistes stören könnte, ist als schädlich zu meiden, wenn es auch nützlich und nothwendig scheint. Nach dieser Norm nun können wir alle Reihen der Irrthümer und Ausschweifungen vermeiden und das ersehnte Ziel in der Linie der bestimmten Richtung erreichen. (7 "Von dem Streben nach der Ruhe des Herzens")

Nicht gleich Alles entweder dem Andrang oder jenen Geistern zuzuschreiben, welche dieselben uns einzugeben suchen, sonst würde das freie Wahlvermögen im Menschen nicht bleiben, und die thätige Sorge für unsere Besserung wäre nicht in unserer Gewalt; aber ich sage, es steht zum großen Theile bei uns, daß die Beschaffenheit der Gedanken verbessert werde, und daß entweder die heiligen und geistigen in unsern Herzen wachsen oder die irdischen und fleischlichen. Daher wird die häufige Lesung und die beständige Erwägung der hl. Schriften angewendet, damit uns dadurch Gelegenheit geboten sei, das Gedächtniß mit geistigem Inhalt zu erfüllen. Daher das häufige Absingen der Psalmen, damit uns dadurch eine beständige Zerknirschung nahe gelegt werde; daher der Fleiß, der im Wachen, Fasten und Beten angewendet wird, damit der ernüchterte Geist nicht am Irdischen Geschmack finde, sondern das Himmlische betrachte. (17 "Was der Geist vermöge über den Zustand der Gedanken, und was er nicht vermöge")

("Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern" Ioann Cassian († 430/35))


27. März - Hl. Benedikt v. Nursia, Abt.
"Tu alles mit Rat, dann wirst du nachher nichts zu bereuen haben". Sir. 32, 84.

Es ist also unsere Aufgabe, eine Schule für den Dienst des Herrn einzurichten. Wir hoffen, dabei nicht Hartes, nicht Drückendes zu verordnen. Sollte aber doch zur Ausrottung der Fehler oder Bewahrung der Liebe die Billigkeit es erheischen, etwas mehr Strenge in Anwendung zu bringen, dann sollst du nicht gleich voll Schrecken den Weg des Heiles verlassen, der am Anfang nicht anders als eng sein kann. Schreitet man aber im Glauben voran und erweitert sich so das Herz , dann eilt man in unaussprechlicher Süßigkeit der Liebe den Weg der Gebote Gottes. Dann entziehen wir uns auch nie mehr seiner Leitung, verharren in seiner Lehre bis zum Tod, haben durch Geduld Anteil am Leiden Christi und verdienen damit auch, Genossen seiner Herrschaft zu werden. (Prolog der Mönchsregel)

Ein Abt, der würdig sein will, einem Kloster vorzustehen, soll immer des Namens eingedenk sein, den er trägt, und muß durch sein Verhalten den Titel eines Obern wahrmachen. Wer also die Würde des Abtes übernommen hat, muß seinen Schülern mit doppelter Belehrung vorangehen, das heißt, mehr noch durch Beispiel als durch Worte über alles Gute und Heilige sie belehren. Die verständigeren Jünger unterweise er demnach in den Geboten des Herrn mit Worten, den weniger Empfänglichen und Beschränkteren aber veranschauliche er die Vorschriften Gottes durch sein Beispiel.

Er mache im Kloster keinen Unterschied der Person; den einen liebe er nicht mehr als den anderen, außer er findet bei einem einen höheren Grad von Tugend und Gehorsam. Er muß also je nach Zeit und Umständen bald Strenge, bald Milde, jetzt den Ernst eines Meisters, dann wieder die zärtliche Liebe eines Vaters walten lassen. Diejenigen, die von Ordnung nichts wissen wollen und unruhige Köpfe sind, weise er strenge zurecht, die aber willig, sanft und geduldig sind, ermuntere er zu weiterem Voranschreiten. Legt einer Nachlässigkeit und Mißachtung an den Tag, den soll er rügen und strafen, des mahnen wir ihn. Auch darf er vor den Fehlern der Schuldigen sein Auge nicht verschließen, sondern muß sie gleich beim Entstehen, soweit es in seinen Kräften liegt, mit der Wurzel ausreißen.

Der Abt soll immer bedenken, was er ist und was sein Name besagt, und wissen, daß, wem mehr anvertraut ist, auch mehr abgefordert wird. Er halte sich gegenwärtig, wie schwierig und dornenvoll die Aufgabe ist, die er übernommen hat, Seelen zu leiten und dem Charakter vieler gerecht zu werden, auf den einen mit Güte, auf den anderen mit Tadel, auf einen dritten durch überzeugende Gründe einzuwirken. Wie es Veranlagung und Einsicht eines jeden erfordert, passe er sich allen völlig an, so daß er an der ihm anvertrauten Herde keinen Verlust zu beklagen habe, vielmehr am Wachstum der guten Herde sich erfreuen könne. (II. Wie der Abt sein soll)

Der vorzüglichste Grad der Demut ist Gehorsam ohne Zögern. Er ist denen eigen, die nichts Lieberes als Christus kennen: wegen des heiligen Dienstes, den sie gelobt haben und wegen der Herrlichkeit des ewigen Lebens gibt es kein Säumen für sie, sobald vom Obern ein Befehl ergangen ist, gleichwie als befähle Gott selbst. Von ihnen sagt der Herr: "Er gehorcht mir aufs Wort". Desgleichen sagt er zu den Lehrern: "Wer euch hört, der hört mich". Solche lassen demnach sogleich das Ihrige im Stich, geben den eigenen Willen preis, ziehen alsbald ihre Hand zurück von ihrer Beschäftigung, lassen unvollendet liegen, was sie taten, und folgen so schnellbereiten Fußes willig dem Worte des Obern mit der Tat. Und wie in einem Augenblick, in der Schnelligkeit der Gottesfurcht, spielt sich sowohl der ergangene Befehl des Meisters wie auch die vollbrachte Tat des Schülers rasch miteinander ab. Ganz von Sehnsucht beherrscht, zum ewigen Leben zu gelangen, betreten sie voll Mut den schmalen Pfad, von dem der Herr sagt: "Eng ist der Weg, der zum Leben führt". So leben sie nicht nach ihrem Gutdünken und folgen nicht ihren Wünschen und Launen. Ohne Zweifel befolgen solche den Ausspruch des Herrn: "Ich bin nicht gekommen, meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat".

Nun aber ist dieser Gehorsam nur dann Gott wohlgefällig und den Menschen angenehm, wenn der Befehl nicht lässig, nicht lahm, nicht lau, nicht mit Murren oder offener Widerrede vollzogen wird. Denn wer den Obern gehorcht, gehorcht Gott; er sagte ja: "Wer euch hört, der hört mich". Und frohen Herzens sollen die Jünger gehorchen, weil "Gott einen freudigen Geber liebt". Denn, wenn sich der Jünger nur mißmutig zum Gehorsam versteht und, ich will nicht sagen mit dem Munde, nein auch nur im Herzen murrt, findet er, mag er den Befehl auch erfüllen, damit doch kein Gefallen bei Gott, der auf sein murrendes Herz schaut; und für solcher Art Handeln empfängt er keinen Lohn. (V. Vom Gehorsam)

Brüder, die Heilige Schrift ruft uns zu: "Jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden" (Luk. 14, 11). Nicht anders ohne Zweifel können wir dieses Auf- und Niedersteigen deuten, als daß man durch Selbsterhebung abwärts sinkt und durch Demut aufwärts steigt. Die aufgerichtete Leiter selbst ist aber unser Leben auf Erden, dem Gott die Richtung zum Himmel gibt, wenn das Herz demütig ist. Wollen wir daher den Gipfel der vollkommenen Demut erreichen und zu jener Erhöhung im Himmel rasch gelangen, zu der die Erniedrigung in diesem Leben emporführt, so müssen wir durch unsern aufwärtsstrebenden Wandel jene Leiter errichten.
Der Mensch soll sich im Geiste stets gegenwärtig ewiges Leben den Gottesfürchtigen bereitet ist halten. So wird er allezeit Sünden und Fehler meiden, Fehler in Gedanken, mit der Zunge, mit Händen und Füßen oder Fehler des Eigenwillens, meiden wird er auch Fleischesbegierden. (VII. Von der Demut)

Brüder, wir haben nun den Herrn darüber befragt, wer in seinem Zelte wohnen dürfe, und haben vernommen, was verlangt wird, dort zu wohnen. Ja, dort werden wir sein, aber nur wenn wir die Pflichten eines Bewohners erfüllen. Leib und Seele müssen wir deshalb dienstbereit halten zum heiligen Gehorsam gegen die Gebote. Soweit aber unsere eigene Kraft nicht ausreicht, wollen wir zum Herrn flehen, daß er uns den Beistand seiner Gnade gewähren wolle. Und wenn wir den Peinen der Hölle entkommen und zum ewigen Leben gelangen wollen, dann müssen wir jetzt eilen und so wirken, wie es uns für die Ewigkeit frommt, jetzt, solange es noch Zeit ist, solang wir im Fleische wandeln, und all das in diesem Erdenleben noch vollbringen können. (Prolog der Mönchsregel)

("Die Regel des hl. Benedikt" († 543))


12. April -  Hl. Johannes Klimakos
"Wer die Laster überwand, schreitet auf offener Straße zum Glück der Mäßigung und zum Seelenfrieden."

Wenn unsere Seele nach verschiedenen Speisen verlangt, so finden wir das als etwas der Natur entsprechendes. Doch ist umsichtige Wachsamkeit vonnöten, damit wir nicht in die Fallstricke unserer schlauen Feindin, der Essbegierde, geraten. Lasst uns auf jene Speisen verzichten, die fett machen und die im Körper die Hitzigkeit anfachen. Nach unserer Beobachtung sind es vor allem Fleischspeisen, die im Körper die Flamme der Wollust nähren. Halten wir Maß! Mit überfüllten Eingeweiden lässt sich nicht enthaltsam leben. Lasst uns auf Naschwerk verzichten, das süß und wohlschmeckend ist, aber nur dem Gaumenreiz dient. Dann werden wir frei von den Geisseln des Leibes.

Von der rechten psychischen Einstellung zum Fasten
Wenn du zu Tische sitzt, so vergiss inmitten der Speisen nicht das Andenken des Todes. Wenn du an das Gericht Gottes denkst, wirst du nicht geneigt sein, im übermaß deinen Teller anzuhäufen. Wenn du zum Becher greifst, erinnere dich des Essigs und des Gallentranks, den man unserem Herrn gereicht hat, dann wirst du nicht geneigt sein, dich zu betrinken. Du wirst gen Himmel seufzen und bescheidener werden. Ein Sklave seines Bauches ist der Mensch, der die Feiertage nur imHinblick auf die Köstlichkeiten des Tisches erwartet und nicht an dieGnadenschätze des Himmels denkt, die ihn erwarten.

Warnung vor der Sklaverei durch die Leidenschaft
Beherrsche deinen Bauch, bevor er dich beherrscht, damit du nicht eines Tages plötzlich in Schanden gezwungen bist, zu einer mäßigeren Lebensart zurückzukehren! Die Menschen, die der Gefräßigkeit und der Trunksucht verfallen sind, träumen nur von ihren Gelüsten. Wer aber in der wahren geistlichen Bußtrauer lebt, weiß, dass ihn das furchtgebietende Gericht Gottes erwartet.

Vom Kampf mit der Unreinheit
Der Geist des Fasters ist nüchtern und klar. Der Geist des Unmäßigen aber ist voll unreiner Vorstellungen. Die Völlerei bewirkt die Verführbarkeit des Blickes, sie ist eine Quelle der Geilheit. Die Betrübnisse des Bauches aber bahnen den Weg zur Keuschheit.

Durch guten Willen allein besiegt man nicht das Fleisch
Wer sein Fleisch durch Besinnung auf seine Tugenden mit gutem Willen allein bekämpfen und überwinden will, kämpft vergeblich. Wenn Gott nicht selbst das Haus fleischlicher Gelüste zerstört und dafür das Haus des Geistes errichtet, so kannst du fasten und wachen und alles ist umsonst. Stelle dem HERRN die Schwachheit deiner Natur vor Augen! Erkenne dabei deine eigene Ohnmacht und du wirst die Gnade der Keuschheitempfangen und erfahren, wie du dich erhebst über die Fesseln deinerKörperlichkeit.

Das Fasten als Gnadenquelle
Übersättigung trocknet alle Gnadenquellen aus, durch Fasten aber fließen wieder die Tränen der Reue und durch die Reue findest du zur Buße und Vergebung.

Günstige Begleiterscheinungen des Fastens
Wird der Bauch durch Fasten beherrscht, demütigt sich auch unser stolzes Herz, denn der Geist der Hoffart wird bei Tisch ernährt. Bezähmst du deine unersättliche Begierde nach den Tafelfreuden, so wirst du auch deine Zunge endlich beherrschen, denn von der Menge der Speisen gewinnt sie ihre Kraft.

Anfragen an das Laster und Beantwortung der Fragen
Die Gefräßigkeit ist Herrin über alle Übel.
Frage diese Herrin und sie wird dir Auskunft geben,
Auskunft über Adams Fall,
Auskunft über Noahs Schande,
Auskunft über Sodoma und Gomarrhas Verderben,
Auskunft über die Vertilgung der Söhne Elis,
Auskunft über den Untergang der Israeliten!

Fragt doch diese Herrin:
Woher bekamst du die Erlaubnis, über uns zu herrschen?
Was bezweckst du und wie lange währt deine Herrschaft?

Wird sie antworten?
Sie wird schon antworten, weil sie der Beschimpfung durch diese Anfragen überdrüssig wird:
Was schmäht ihr mich? Ihr seid mir unterworfen!
Wie wollt ihr euch von mir trennen, wo uns doch die Natur miteinander verbunden hat!
Das Tor, durch das ich einzog, ist die Verlockung der Völlerei.
Die Ursache meiner Herrschaft ist die Fühllosigkeit des Geistes, euer gewohnheitsstarres Wesen und die Vergessenheit euerer Vergänglichkeit.

Kennt ihr meine Kinder? Ihre Namen wollt ihr wissen? So hört!

Meine vielgeliebten Söhne heißen:
Herzenskälte,
unreiner Traum,
Befleckung.

Meine vielgeliebten Töchter heißen:
Trägheit,
Geschwätzigkeit,
Narretei,
Frechheit,
Vorurteil,
Prahlerei,
Eitelkeit.

Mich bekämpft man, mich überwindet man aber nicht. Das Gedenken der Vergänglichkeit verfolgt mich zwar, aber es gibt nichts im ganzen sterblichen Leben, das mich ganz vernichtet. Wer den Heiligen Geist hat, kämpft gegen mich und jener verhindert auf innigstes Anflehen hin eine gottlose Handlung. Diejenigen aber, die den himmlischen Tröster nicht verkostet haben, unterliegen meinen verführerischen Reizen.

("Scala Paradisi" Der Hl. Abt Johannes vom Sinaikloster (+670))


15. Mai - Hl. Athanasius der Grosse
Niemand darf diesen etwas beifügen, und Niemand von diesen etwas wegnehmen.

Allein da wir die Ketzer als Todte erwähnt haben, uns aber als solche, welche die göttlichen Schriften zum Heile besitzen; und weil ich fürchte, es möchten, wie Paulus an die Korinther schrieb, einige Wenige aus den Unbehutsamen von ihrer Einfalt und Reinheit durch die Arglist gewisser Menschen abgelenkt werden, und sie möchten alsdann andere Bücher, welche man Apokryphische nennt, zu lesen anfangen, getäuscht durch die Gleichheit des Namens der echten Bücher; so nehmet es, ich bitte euch, nicht mit Unwillen auf, wenn ich von Dingen, die ihr wohl kennet, in meiner Schrift Erwähnung thue, weil es nothwendig und für die Kirche nützlich ist.

Indem ich aber dieselben zu erwähnen im Begriffe bin, will ich im Anfange meines kühnen Unternehmens mich der Form des Evangelisten Lukas bedienen, und mit ihm sagen: „Nachdem es Viele versucht haben," die sogenannten apokryphischen Bücher für sich selbst zu ordnen, und sie der vom göttlichen Geiste eingegebenen Schrift einzuverleiben, der Schrift, über welche wir völlige Gewißheit haben, wie den Vätern diejenigen meldeten, welche vom Anfange an Augenzeugen und Diener des Wortes waren; habe auch ich beschlossen, von aufrichtigen Brüdern aufgefordert und von oben belehrt, die Bücher der Reihe nach aufzuzählen, welche als göttliche im Canon verzeichnet, als solche überliefert und für solche gehalten worden sind; damit ein Jeder, welcher verführt worden ist, seine Verführer verdamme, derjenige aber, welcher rein geblieben ist, wieder daran erinnert sich freue.

Die Bücher des alten Testamentes sind also der Zahl nach im Ganzen zwei und zwanzig. Denn so viele Buchstaben sollen, wie ich gehört habe, die Hebräer haben. Der Ordnung und dem Namen nach aber sind sie im Einzelnen folgende: Erstens die Genesis, zweitens der Exodus, drittens der Leviticus, viertens Numeri, und fünftens das Deuteronomium. Auf diese folgen Iosua, der Sohn Nuns, die Richter, und nachher das Buch Ruth. Alsdann ferner die vier Bücher der Könige, von welchen das erste und zweite Buch als Ein Buch gezählt werden, und das dritte und vierte gleichfalls als Eines. Nach diesen werden das erste und zweite Buch Paralipomenon ebenfalls wieder als Ein Buch gezählt; hierauf das erste und zweite Buch Esdras gleichfalls für Eines. Nach diesen das Buch der Psalmen, und darauf die Sprüche, dann der Ekklesiastes und das Hohelied. Zu diesen gehört auch Job, und alsdann die Propheten, von welchen zwölf als Ein Buch gerechnet werden; alsdann Isaias, Ieremias und mit diesem Baruch, die Klaglieder, ein Brief, nachher Ezechiel und Daniel. So weit gehen die Bücher des alten Testamentes.

Aber auch die Bücher des neuen Testamentes aufzuzählen darf man nicht unterlassen. Diese sind nämlich: Vier Evangelien, nach Matthäus, nach Markus, nach Lukas, nach Johannes. Alsdann die Geschichte der Apostel, und die sogenannten sieben katholischen Briefe der Apostel, nämlich: Einer von Iakobus, zwei von Petrus, dann drei von Johannes, und ferner Einer von Judas. Ausser diesen sind vierzehn Briefe des Apostels Paulus vorhanden, welche in folgender Ordnung geschrieben sind: Der Erste an die Römer, dann zwei an die Korinther, und hierauf an die Galater; dann an die Epheser, alsdann an die Philipper und an die Kolosser, nach diesen zwei an die Thessalonicher, und der an die Hebräer, hierauf zwei an den Timotheus, und Einer an Titus; zuletzt der an den Philemon; weiterhin die Offenbarung des Johannes.

Dieses sind die Quellen des Heiles, welche den Dürstenden mit ihren Worten erfüllen; in diesen allein wird die Lehre der Frömmigkeit verkündet. Niemand darf diesen etwas beifügen, und Niemand von diesen etwas wegnehmen. In Bezug auf diese beschämte der Herr die Saducäer, mit den Worten, „Ihr seyd irrig daran, da ihr die Schriften nicht könnet." Die Juden aber ermahnte er mit den Worten: „Forschet in den Schriften, denn sie sind es, die von mir Zeugniß geben." Allein wenigstens der größern Genauigkeit wegen füge ich nothwendiger Weise auch noch dieses meinem Schreiben bei, daß es nämlich ausser diesen auch noch andere Bücher gibt, welche zwar nicht in den Canon aufgenommen, aber von den Vätern für diejenigen zum Lesen vorgeschrieben sind, welche erst eintreten, und in dem Worte der Frömmigkeit unterrichtet werden wollen. Diese sind die Weisheit Salomons, und die Weisheit Sirachs, Esther, Judith, Tobias, die sogenannte Lehre der Apostel, und der Hirt.

Und doch, Geliebte, obwohl jene in den Canon aufgenommen sind, und diese gelesen werden, wird nirgends der apokryphischen Bücher gedacht; sondern diese sind eine Erdichtung der Ketzer, welche nach Belieben Bücher schreiben, und denselben auch Zeiten zuschreiben, und beilegen, damit sie unter dem Vorwande des Alters derselben Gelegenheit haben, die Unbehutsamen hiedurch zu hintergehen.

Dieser Brief, dessen Anfang fehlt, gehört wahrscheinlich zu den Festbriefen (eortastikai epistolai, Epistolae Festales) des heil. Athanasius, deren Hieronymus in seinem Buche über die Kirchenschriftsteller gedenkt. Daß der Heilige bei der Aufzählung der canonischen Bücher die Meinungen über die Autorität einiger Bücher der heil. Schrift nicht anführt, darf uns nicht befremden, denn er wollte die Streitfragen hinsichtlich derselben, weil sie die Fassungskraft des Volkes übersteigen, nicht angeben.

Ein Bruchstück aus dem neununddreißigsten Festbriefe des heil. Athanasius (295-373). - Quelle: Bliothek der Kirchenväter -


22. Juni - Hl. Kyrill, Erzbischof v. Alexandria
„Ihr irrt, weil ihr weder die Schriften kennt noch die Macht Gottes."(Matth, 22, 29.)

Der rechte und unanfechtbare Glaube, der begleitet ist von dem Glanze guter Werke, bereichert uns ja mit allem Guten und beweist, daß wir ausgezeichnete Herrlichkeit erlangt haben. Entbehrt jedoch die Vortrefflichkeit des Tuns der rechten Lehranschauungen und des untadeligen Glaubens, so kann sie der Seele des Menschen, wie ich glaube, keinerlei Nutzen bringen. Denn wie „der Glaube ohne die Werke tot ist" (Jak. 2, 26.), so ist, behaupten wir, auch das Umgekehrte wahr. In Verbindung mit dem Ruhme eines guten Lebens soll also auch die Makellosigkeit im Glauben ihre Strahlen aussenden...

...Ihr müßt also vor allem einen gesunden Geist in euch haben und der Heiligen Schrift eingedenk sein, die da spricht und mahnt: „Deine Augen sollen das Rechte schauen.“ (Sprichw. 4, 25.). Einen geraden Blick der im Innern verborgenen Augen haben aber heißt scharf und, soweit es möglich ist, durchdringend die Lehren würdigen können, wie sie etwa über Gott vorgetragen werden...

...Wir müssen uns daher vor Gott niederwerfen und sprechen: „Erleuchte meine Augen, daß ich nicht etwa entschlafe zum Tode!"(Ps. 12, 4.). Denn des rechten Verständnisses der heiligen Glaubenslehren verlustig gehen, würde nichts anderes sein als ein offenbares Entschlafen zum Tode. Wir verlieren aber das rechte Verständnis, wenn wir uns, statt den gotteingegebenen Schriften zu folgen, von tadelnswerten Mutmaßungen leiten oder durch den Anschluß an gewisse Leute, welche einen falschen Weg in Glaubenssachen wandeln, das Urteil unseres Verstandes beeinflussen und damit vor allem unsere Seele zu Schaden kommen lassen...

...Demnach müssen wir auf solche hören, welche dem rechten Sinn des Glaubens nachforschen nach Maßgabe der heiligen Predigt, wie diejenigen sie uns durch den Heiligen Geist überliefert haben, „die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes geworden sind" (Luk. 1, 2.). In ihre Fußtapfen zu treten, befleißigten sich unsere berühmten Väter, die da das ehrwürdige und ökumenische Glaubenssymbol aufgestellt haben, als sie seinerzeit zu Nizäa zusammengetreten waren...

...Der von ihnen dargelegte und festgelegte Glaube ist denn auch unverbrüchlich gewahrt worden von den späteren heiligen Vätern und Hirten der Völker und Leuchten der Kirchen und den hervorragendsten Lehrmeistern...

...Denn Christus ist, wie gesagt, nicht aus einem Menschen Gott geworden, sondern das Wort ist, da es Gott war, Fleisch, das heißt Mensch geworden. Es wird aber gelehrt, daß er sich entäußert hat, weil er vor der Entäußerung die ganze Fülle dessen besaß, was ihm zukommt, insofern er Gott ist. Er ist eben nicht aus der Leere aufgestiegen zur Fülle; er hat sich vielmehr aus göttlichen Höhen und unaussprechlicher Herrlichkeit selbst erniedrigt, nicht aber ist er als niedriger Mensch zur Höhe erhoben und mit Herrlichkeit gekrönt worden. Ein Freier hat Knechtsgestalt angenommen, nicht ein Knecht die Herrlichkeit der Freiheit erlangt. Der, der in der Gestalt des Vaters und ihm gleich war, ist den Menschen ähnlich geworden, nicht ein Mensch durch Teilnahme Gott ähnlich geworden...

(Fragmente aus "EErklärung des nizänischen Glaubensbekenntnisses" - Cyrillus von Alexandrien († 444)) Quelle: Bliothek der Kirchenväter -


5 September - Irenäus, Bischof v. Lyon
„Sünder sind hier diejenigen, die Kenntnis von Gott besitzen, aber seine Gebote nicht halten, die Verächter und Schmäher."

Denn es gibt nur einen Weg; alle, die sehen, führt er gemeinsam empor, beleuchtet vom himmlischen Lichte. Die Wege der Verblendeten hingegen sind zahlreich und holperig. Jener Weg verbindet den Menschen mit Gott und führt zum himmlischen Reich, diese trennen den Menschen von Gott und führen abwärts zum Tode.

Daher ist es für Dich und alle, die sich um ihr Heil kümmern, nötig, ihn ohne Umschweif, mutig und entschieden einzuschlagen durch den Glauben, damit sie nicht durch Wankelmut in Sünde fallen und in der weltlichen Begierlichkeit verstrickt bleiben, oder auch auf Irrwege geraten und das richtige Ziel verfehlen. (Kap.1)

Da der Mensch als Lebewesen aus Leib und Seele zusammengesetzt ist, so ist für ihn natürlich und passend, mit diesen beiden zu existieren  . Und da sich für beide Anstöße ergeben, so ist sowohl eine Heiligung des Leibes zu beobachten, die beständige Enthaltung von allen unschamhaften Dingen und von allen ungerechten Werken, als auch eine Heiligung der Seele, die unversehrte Bewahrung des Glaubens an Gott ohne Zutaten und ohne Kürzungen.

Denn der Dienst Gottes wird gestört und beeinträchtigt durch die Unreinheit und Befleckung des Leibes, er erlahmt und wird entweiht und geteilt, wo die Lüge in die Seele hinein Einzug hält; aber wo Wahrheit stetsfort in den Geistern und die Reinheit in dem Leibe wohnt, da behält er seine Schönheit und gebührende Vollkommenheit. Wozu sollte es auch dienen, die Worte der Wahrheit zu kennen, während man seinen Leib der Unreinheit preisgibt und in seinen Handlungen der Bosheit dient? Was aber nützte es ferner, den Leib in Ehren zu halten, wenn die Wahrheit nicht in der Seele wohnte? (Kap.2)

Denn über allen ist er als Vater; mit allen ist er als Wort, da durch dasselbe alles vom Vater ins Werden trat, in uns allen jedoch ist er als Geist, der da ruft: „Abba, Vater“ (Gal. 4,6)  und den Menschen zum Ebenbild Gottes gestaltet. Nun zeigt der Geist das Wort und deswegen verkündeten die Propheten den Sohn Gottes, während das Wort den Geist wehen macht, und deshalb ist er selbst der Sprecher der Propheten und führt den Menschen zum Vater zurück. (Kap.5)

Deshalb wird bei unserer Wiedergeburt die Taufe durch diese drei Stücke vollzogen, indem der Vater uns zur Wiedergeburt begnadigt durch seinen Sohn im Hl. Geiste. Denn diejenigen, welche den Hl. Geist empfangen und in sich tragen, werden zum Worte, d. h. zum Sohne geführt. Der Sohn hinwieder führt sie zum Vater und der Vater macht sie der Unvergänglichkeit teilhaft. Also kann man ohne den Geist das Wort Gottes nicht sehen und ohne den Sohn kann niemand zum Vater kommen  . Denn das Wissen des Vaters ist der Sohn. Das Wissen vom Sohne Gottes aber [erlangt man] durch den Hl. Geist; den Geist aber gibt nach dem Wohlgefallen des Vaters der Sohn als Spender an diejenigen, welche der Vater will und wie er es will. (Kap.7)

Die Welt nun aber wird von sieben Himmeln umgeben, in denen die Mächte, die Engel und die Erzengel wohnen und die Pflicht des Dienstes gegen Gott den Allmächtigen, den Schöpfer aller Dinge, erfüllen; nicht als bedürfte er sie, sondern sie sollen nicht untätig, ohne Nutzen und Segen sein.
Somit ist der erste Himmel von oben her, der die andern umschließt, die Weisheit, der zweite hernach der des Verstandes, der dritte der des Rates, der vierte, von oben gerechnet, der der Kraft, der fünfte der der Wissenschaft, der sechste jener der Frömmigkeit, der siebente ist die Feste über uns, die voll ist von der Furcht des Geistes, der die Himmel erleuchtet. (Kap.9)

Indem Gott so den Menschen als Herrn der Erde und alles dessen, was auf ihr ist, erschaffen hatte, hat er ihn auch zum Herrn derer, welche als Diener auf ihr sind, erhoben. Jedoch erfreuten sich jene der Reife ihrer Natur, während der Herr, d. h. der Mensch, klein war; war er doch ein Kind, noch des Wachstums bedürftig, um zu seiner Vollreife zu gelangen. (Kap.12)

...Noch hatten sie ja ihre Natur unversehrt bewahrt, denn vom Schöpfer war der Hauch des Lebens ihnen eingehaucht worden. So lange dieser Hauch unentweiht und unversehrt bleibt, ist er ohne Empfänglichkeit und Sinn für das Schlechte. (Kap.14)

Deshalb bedürfen wir auch nicht des Gesetzes als unseres Erziehers. Siehe, wir reden mit dem Vater und stehen nunmehr vor ihm, nachdem wir an Bosheit Kinder geworden  sind, aber erstarkt sind an aller Gerechtigkeit und Heiligkeit. Denn zu demjenigen, in dem auch nicht einmal mehr die Begierde nach dem Weibe des Nebenmenschen vorhanden ist, wird das Gesetz nicht sagen: Du sollst nicht ehebrechen; und zu dem, der allen Zorn und alle Feindschaft von sich gewiesen hat, nicht: Du sollst nicht töten; und zu denjenigen, welche sich gar nicht um die Güter der Erde mehr kümmern, sondern nur nach den himmlischen Früchten trachten, nicht: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Acker oder Ochs oder Esel; und zu demjenigen, der keinen Menschen als Feind, aber alle als seinen Nächsten betrachtet, nicht: Aug' um Aug', Zahn um Zahn, Und deswegen kann er auch seine Hand nicht ausstrecken zur Rache. Das Gesetz wird den Zehnten nicht von dem fordern, der alle seine Besitztümer Gott geweiht hat und, Vater und Mutter und die ganze Verwandtschaft verlassend, dem Worte Gottes nachfolgt. Es braucht des Befehles nicht, einen Tag der Rühe ohne Arbeit zuzubringen, wo man täglich Sabbat feiert, d. h. im Tempel Gottes, der da der Menschenleib ist, wo er Gott dient und allezeit Gerechtigkeit übt  . Denn, so spricht er: „Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer, Erkenntnis Gottes eher als Brandopfer“ (Hos. 6,6).

„Jeder hingegen, welcher den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden“ (Joel 2,32)  . Und es ist kein anderer Herrenname unter dem Himmel gegeben, durch den die Menschen Rettung finden, als der Name Gottes, der da ist Jesus Christus, der Sohn Gottes, dem auch die Dämonen und die bösen Geister und alle abgefallenen Kräfte der Unterwelt gehorchen. (Kap.96)

(Fragmente aus "Erweis der apostolischen Verkündigung (Demonstratio apostolicae praedicationis)" - Irenäus, Bischof v. Lyon († 200))


16. Oktober - Märt. Dionysios d. Areopagit

"Durch die Stufenordnung der Hierarchie ist es bedingt, daß die einen gereinigt werden, die andern reinigen, daß die einen erleuchtet werden, die andern erleuchten, daß die einen vollendet werden, die andern vollenden. Und wie nach diesem Gesetze einem jeden das Nachbild Gottes angemessen sein wird, so wird er zur Teilnahme an Gottes Wirken erhoben werden."

Jede göttliche Erleuchtung strahlt in Güte in buntgebrochenem Lichte in die Gegenstände der Vorsehung und bleibt doch einfach. Aber noch mehr, sie bildet auch in den Wesen, in welche sie einstrahlt, das Eine heraus. (Kap. 1,1)

Denn dieser selbst verliert ja auch nie etwas von der ihm eigenen einheitlichen Einfachheit, während er sich zum Zwecke der anagogischen und einigenden Anpassung an die von der Vorsehung geleiteten Wesen vervielfältigt und (zu ihnen) austritt. Er bleibt vielmehr innerhalb seiner selbst in unbeweglicher Selbstgleichheit unerschütterlich und dauernd fest und zieht diejenigen, welche geziemend zu ihm emporblicken, ihrer Natur entsprechend (zu sich) empor und gestaltet vermöge seiner (eigenen) Wesenseinheit, die eine vereinfachende Kraft besitzt, auch in ihnen das Eine. (Kap. 1,2)

Deshalb hat auch die heilige Satzung, welche dem Urquell aller Weihen entstammt, unsere heiligste (kirchliche) Hierarchie in der Form gewährt, daß sie dieselbe einer überweltlichen Nachahmung der himmlischen Hierarchie würdigte und diese eben erwähnten immateriellen Hierarchien in materiellen Gestalten und zusammengesetzten Gebilden auf mannigfach verschiedene Weise darstellte. Wir sollen nämlich unserer eigenen Natur entsprechend von den heiligsten Gebilden aus zu den einfachen und bildlosen Aufschwüngen und Verähnlichungen erhoben werden. Denn es ist unserm Geiste gar nicht möglich, zu jener immateriellen Nachahmung und Beschauung der himmlischen Hierarchien sich zu erheben, wofern er sich nicht der ihm entsprechenden handgreiflichen Führung bedienen wollte. Und diese findet er darin, daß er die in die äußere Sichtbarkeit tretenden Schönheiten als Abbilder der unsichtbaren Herrlichkeit studiert, darin daß er die sinnlich wahrnehmbaren Wohlgerüche als Typen der geistigen Ausstrahlung und die materiellen Lichter als ein Sinnbild der immateriellen Lichtergießung betrachtet; darin daß er die ausführlichen heiligen Lehrvorträge als einen Widerhall der geistigen, in Beschauung gewonnenen Befriedigung, die Rangstufen der irdischen (kirchlichen) Ordnungen als einen Abglanz des harmonischen und wohlgeordneten Verhältnisses zum Göttlichen, die Teilnahme an der göttlichen Eucharistie als eine Darstellung der Gemeinschaft mit Jesus erkennt. Und das Gleiche gilt von allen übrigen Dingen, welche den himmlischen Naturen auf eine überweltliche, uns aber auf eine symbolische Weise gewährt sind. (Kap. 1,3)

Denn für die Behauptung, daß mit Fug und Recht die Bilder vor das Bildlose und die Gestalten vor das Gestaltlose gewoben sind, möchte einer nicht bloß die uns eigentümliche analoge erkenntnisweise als Grund anführen, welche nicht im Stande ist, zu den geistigen Betrachtungen sich unmittelbar zu erheben und vielmehr geeigneter, naturgemäßer Emporführungsmittel bedarf, welche in den uns fassbaren Gebilden die gestaltlosen und das Natürliche übersteigenden Erkenntnisse verschleiert bieten, sondern auch diesen weiteren Grund, daß dieses Verfahren den geheimnisvollen (heiligen) Schriften am besten ziemt, daß sie nämlich in geheimen und heiligen Rätselworten verborgen werden und daß für die große Menge die geheime und heilige Wahrheit über die überweltlichen Geister unzugänglich gemacht wird. Denn nicht jeder ist heilig und nicht aller ist, wie die Schrift sagt, die Erkenntnis (I. Cor. 8, 7). (Kap. 2,2)

Die Art und Weise der (bildlichen) Offenbarungen eine doppelte ist.  Die eine Art (der Offenbarung) nun nimmt, wie es sich geziemt, ihren Weg durch die ähnlichen, heilig geformten Bilder, die andere durch die unähnlichen Gestaltungen und formt diese in einer Weise, daß sie ganz ungeziemend und unpassend erscheinen. Bekanntlich bezeichnen die mystischen Überlieferungen der Offenbarungsschriften die verehrungswürdige Seligkeit der überwesentlichen Urgottheit an den einen Stellen als Logos und Nus und Usie (Wort, Geist und Wesen), um die göttliche Vernunft und Weisheit, sowie die wahrhaft seiende Existenz Gottes und die wahre Ursache der Existenz von allem, was ist, zu offenbaren. Und auch als Licht stellen sie die Urgottheit dar und benennen sie als Leben, figürliche, heilige Bezeichnungen, welche zwar ehrwürdiger sind und über die stofflichen Gestaltungen in gewisser Weise erhaben zu sein scheinen, aber auch so hinter einer wirklichen Ähnlichkeit mit der Urgottheit zurückbleiben. Denn sie ist über jegliche Wesenheit und jegliches Leben entrückt, kein Licht gibt es, das sie kennzeichnen mag, gar kein Gedanke (λόγος) und gar kein Verstand (νοῦς) ist mit ihr zu vergleichen und reicht an eine Ähnlichkeit mit ihr heran. (Kap. 2,3)

Andern Orts wird sie aber auch von ebendenselben Schriften mit Prädikaten negativer Art überweltlich gefeiert, wenn sie dieselbe nämlich als Unsichtbares, Unermeßliches, Unbegrenztes bezeichnen und das hervorheben, woraus nicht abzunehmen ist, was sie ist, sondern, was sie nicht ist. Denn das ist meines Erachtens ihr gegenüber auch mehr berechtigt, weil wir, wie die geheime und priesterliche Überlieferung nahe legte, in Wahrheit sagen, daß die Gottheit nicht nach Art eines der bestehenden Dinge existiere, daß wir aber ihre überwesentliche, unerkennbare und unaussprechliche Unbegrenztheit nicht kennen. Wenn also die verneinenden Aussagen in Bezug auf das Göttliche wahr, die bejahenden dagegen unzutreffend sind, so ist dem Dunkel der unaussprechlichen Dinge die Offenbarung vermittels der unähnlichen Gebilde in dem Gebiet des Unsichtbaren mehr angemessen. (Kap. 2,3)

Man kann also aus allem schöne (geistige) Anschauungen ersinnen und sowohl für die hohen wie für die höchsten Geister (νοητοῖς τε καὶ νοεροῖς) aus dem Gebiet der Materie die erwähnten sogenannten „unähnlichen Ähnlichkeiten“ entnehmen. Natürlich besitzen die geistigen (erkennenden) Wesen das in anderer Weise, was den sinnlich wahrnehmbaren verschieden von jenen zugeschrieben ist. (Kap. 2,4)

Zweck der Hierarchie ist also die möglichste Verähnlichung und Einswerdung mit Gott. Hiebei hat sie ihn selbst zum Lehrmeister in jeglicher hierarchischen Erkenntnis und Wirksamkeit blickt zu seiner göttlichen Schönheit unverwandt empor, gibt dieselbe soweit als möglich im Nachbild wieder und vervollkommnet ihre Mitglieder zu göttlichen Bildern, zu lautersten, fleckenlosen Spiegeln, welche im Stande sind, den urgöttlichen Strahl aus der Urquelle des Lichtes in sich aufzunehmen, zu Spiegeln, welche dann, von dem einstrahlenden Glanze heilig erfüllt, diesen hinwieder neidlos über die nächstfolgenden Ordnungen leuchten lassen, sowie es den urgöttlichen Satzungen entspricht. (Kap. 3,2)

So wird also jede Stufe der hierarchischen Ordnung gemäß ihrem entsprechenden Range zur Mitwirksamkeit mit Gott erhoben, indem sie das, was der Urgottheit ihrem Wesen nach in einer unsere Natur überragenden Weise innewohnt und von ihr überwesentlich gewirkt und zum Zwecke möglichst getreuer Nachahmung der gottliebenden Geister in der Einrichtung der Hierarchie äußerlich kund getan wird, durch Gnade und gottverliehene Kraft vollendet. (Kap. 3,3)

Alles in der Welt nun erfreut sich der Vorsehung, welche aus der überwesentlichen und allursächlichen Gottheit ausgeht. Denn es wäre überhaupt kein Ding, wenn es nicht an dem Wesen und dem Urprinzip von allem Anteil erlangt hätte. Die leblosen Dinge haben durch ihr Sein an ihm Anteil, denn die über alles Sein erhabene Gottheit ist das Sein aller Dinge. Die belebten (vernunftlosen) Wesen haben an seiner über das Leben erhabenen, Leben schaffenden Macht Anteil. Die vernünftigen und intellektuellen Wesen haben an seiner über alle Vernunft und Intelligenz erhabenen, in sich vollkommenen (absoluten) und urvollkommenen Weisheit Anteil. (Kap. 4,1)

Die heiligen Chöre der himmlischen Wesen haben in einem höhern Maße als die Wesen, welche bloß das Sein besitzen, als die unvernünftigen Lebewesen und die vernünftigen Glieder unseres Geschlechtes Anteil an der urgöttlichen Mitteilung. Sie bilden sich in rein geistiger Weise zu Nachbildern Gottes um, schauen überweltlich auf das urgöttliche Vorbild und begehren ihre intellektuelle Gestalt darnach zu formen. Die natürliche Folge davon ist, daß sie stärkere Gemeinschaft mit der Gottheit genießen, da sie beharrlich und immerdar nach dem Höheren, soweit es möglich ist, in der Spannkraft der göttlichen und unwandelbaren Liebe sich nach oben erheben und die Erleuchtungen der Urquelle auf immaterielle und ungetrübte Weise in sich aufnehmen, nach ihnen sich richten und das ganze Leben geistig besitzen. (Kap. 4,2)

Diese Wesen sind es, die an erster Stelle und vielfältig zur Anteilnahme am Göttlichen gelangen und hinwieder zuerst und in mehrfacher Art das Verborgene der Urgottheit offenbaren. Deshalb sind sie auch vor allen besonders mit dem Namen „Engel“ ausgezeichnet, weil die urgöttliche Erleuchtung in sie zuerst einstrahlt und dann durch sie die unsere Erkenntnis überragenden Offenbarungen uns vermittelt werden. (Kap. 4,2)

Denn nicht bloß bei den höherstehenden und tieferstehenden Geistern, sondern auch unter den gleichstufigen ist von dem überwesentlichen Prinzip aller Rangordnungen diese Satzung bestimmt, daß es in jeder Hierarchie erste, mittlere und letzte Ordnungen und Mächte gebe und daß die göttlicheren den geringeren als Mystagogen und Führer zur Nähe, zur Erleuchtung und Gemeinschaft Gottes dienen. (Kap. 4,3)

Wir behaupten nun, daß in jeder heiligen Ordnung die höhern Abteilungen auch die Erleuchtungen und Kräfte der tieferstehenden besitzen, daß dagegen die letzten Stufen der Vorzüge der höhern nicht teilhaftig sind! (Kap. 5)

Fragmente aus "Himmlische Hierarchie (De caelesti hierarchia)" - Dionysius Areopagita († 96)


26. November - Hl. Johannes Chrysostomos

"Wenn wir einmal so gesinnt sind, daß wir uns an keinem Beleidiger mehr rächen wollen, sondern Allen, also auch den Beleidigern, nur Gutes erweisen, wie sollte uns dann eine Beleidigung arg schmerzen! Wer es aber so weit gebracht hat, daß er sich über eine Beleidigung freut, und dieser Freude dadurch Ausdruck verleiht, daß er dem Beleidiger sogar Wohlthaten erweist, wird ein Solcher wohl über anderes Ungemach sich gar sehr grämen? Ist dieß aber auch möglich? fraget ihr. Ja wohl ist es möglich, wenn wir nur ernstlich wollen."

Wenn man schon Böses nicht mit Bösem vergelten darf, so ist es noch viel weniger erlaubt, Gutes mit Bösem zu vergelten oder Einem Böses zuzufügen, der einen gar nicht beleidigt hat. Aber, sagst du, Jener ist ein Bösewicht, er hat mir viel Schlimmes angethan. Willst du dich etwa an ihm rächen? O nein, bezahle ihn nicht mit gleicher Münze, laß ihn ungestraft! Hast du aber damit schon deiner Pflicht genügt? Keineswegs; denn höre, was der Apostel sagt: Immerdar erstrebet das Gute gegen einander und gegen Alle! Böses nicht nur nicht mit Bösem, sondern sogar mit Gutem zu vergelten, ist ein erhabener Grundsatz; das ist eine Rache, welche dir Nutzen bringt und dem Beleidiger Schaden, oder vielmehr auch diesem nützlich ist, wenn er anders sich nützen lassen will. Damit Niemand glaube, diese Norm beziehe sich nur auf die Gläubigen, so setzt der Apostel ausdrücklich hinzu: „Gegen einander und gegen Alle!“ (Kap. 10,4)

Gott allezeit danken, das ist gut und weise. Ist dir etwas Schlimmes zugestoßen? Sobald du nur willst, hat es aufgehört, ein Übel zu sein. Danke Gott dafür, und das Übel hat sich in etwas Gutes verwandelt. Sprich mit Job: „Der Name des Herrn sei gebenedeit in Ewigkeit!“ Sage mir einmal, was hast du im Vergleich mit Job erlitten? Hat dich eine Krankheit befallen? Das ist nichts Befremdendes, denn wir wissen ja, daß unser Leib dem Leiden und dem Tode unterworfen ist. Oder bist du in Armuth gerathen? Allein das Geld ist nie ein sicheres Besitzthum, jedenfalls muß man es einmal beim Sterben zurücklassen. Oder haben dich Verfolgungen und Verleumdungen von Seiten deiner Feinde betroffen? Allein wenn dieß der Fall sein sollte, so haben nicht wir Schaden davon, sondern jene selbst. Denn es heißt: „Die Seele, so da sündigt, soll sterben!“ Es hat aber nicht der Beleidigte gesündigt, sondern der Beleidiger. Und an Demjenigen, der nun so geistig todt ist, soll man sich nicht rächen, sondern für ihn beten, damit er aus diesem Zustande befreit werde. Wisset ihr nicht, daß die Biene sterben muß, wenn sie mit ihrem Stachel Andere verwundet? Durch dieses Thier belehrt uns Gott, daß wir den Nebenmenschen nicht kränken sollen, weil wir uns dadurch selbst den Tod zuziehen würden. Dem Nebenmenschen würden wir vielleicht durch unsere Rache nur einen unbedeutenden Nachtheil zufügen, uns selbst aber das Leben (der Seele) nehmen, ähnlich wie es der Biene ergeht. (Kap. 10,4)

Wer ein Vorsteheramt inne hat, der ist vielen Unannehmlichkeiten ausgesetzt wegen des unvollkommenen Zustandes Derjenigen, mit welchen er zu thun hat. Gleichwie die Ärzte oft den Unwillen der Kranken erregen, wenn sie heilsame, aber widerlich schmeckende Speisen und Arzneien verordnen, und gleichwie die Väter oft das Mißfallen der Söhne hervorrufen müssen, so geht es auch den Lehrern und zwar in einem viel höheren Grade. Denn wenn der Arzt auch oft den Unwillen des Kranken verursacht, so besitzt er doch die Gunst der Angehörigen und Verwandten desselben, oft aber auch sogar die des Kranken selbst. Auch der Vater kann, gestützt auf die natürlichen und bürgerlichen Gesetze, von seiner väterlichen Machtvollkommenheit gegenüber seinem Sohne ohne Schwierigkeit Gebrauch machen, und wenn er je gegen einen Widerspenstigen mit Wort oder That einschreitet, so legt ihm Niemand ein Hinderniß in den Weg, und auch der Sohn selbst wird es nicht wagen, ihn darob scheel anzusehen. Bei dem Priester aber sind die Schwierigkeiten in dieser Beziehung groß. Eigentlich sollte man sich gerne seiner Leitung überlassen und ihm dankbar sein für seine Führung. Das tritt aber nicht so leicht und schnell ein. Denn wenn Einer getadelt und zurechtgewiesen wird, so verwandelt sich bei ihm — und es braucht keineswegs der Schlechteste zu sein, — auf einmal alle Dankbarkeit in Gehässigkeit. So macht es auch Jeder, dem man einen Rath oder eine Ermahnung gibt, an den man eine Bitte richtet. Wenn ich sage: Gib den Armen Almosen, so ist das ihnen eine beschwerliche und lästige Zumuthung. Ich sage: Bekämpfe deinen Zorn, dämpfe deine Leidenschaft, beherrsche deine schlimme Neigung, vermindere ein wenig deine Bequemlichkeit! Sie finden diese Mahnungen drückend und unbequem. Wenn ich einen Ausschweifenden bestrafe, ihn aus der kirchlichen Gemeinschaft ausschließe und ihm die Theilnahme am öffentlichen Gottesdienste verwehre, so berührt ihn das allerdings schmerzlich, aber nicht wegen der erfolgten Ausschließung, sondern wegen der öffentlichen Beschämung. Das ist aber schon ein neues bedenkliches Stadium der Seelenkrankheit, wenn sich Einer, der aus der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen wird, nicht kränkt über den dadurch erlittenen Verlust an geistlichen Gütern, sondern wegen der äußeren Schande, während die Strafe selbst keinerlei Eindruck auf ihn macht. (Kap. 10,1)

In aller Milde und Sanftmuth sollt ihr die Kleinmüthigen trösten, euch der Schwachen annehmen und Geduld haben mit Allen. Denn wer mit Härte und Bitterkeit getadelt wird, der gibt gar leicht das Streben, wieder auf den rechten Weg zu kommen, ganz auf, kümmert sich immer weniger um die Autorität des Priesters und schüttelt am Ende das Joch derselben ganz ab. Darum gibt der Apostel den Vorstehern die Vorschrift, sie sollen die ihrer Natur nach bittere Arznei der Zurechtweisung durch eine milde Form der Mahnung möglichst versüßen. Was hat man aber unter den „Ungefügen“ zu verstehen? Das sind Diejenigen, welche nicht nach dem Willen Gottes handeln. Denn in der Kirche muß eine noch viel größere Ordnung herrschen als in einem Kriegsheere. Darum ist der Schmähsüchtige ein Ungefüger, ist der Trunksüchtige und Habsüchtige ein Ungefüger, und Alle, so da Sünde begehen, sind Ungefüge, denn sie fügen sich nicht in die ihnen vorgezeichnete Ordnung, treiben sich außerhalb der ordnungsgemäßen Kampfreihe herum und gehen daher zu Grunde. Außer den genannten Sünden gibt es noch eine andere Art, zwar nicht von so grober Beschaffenheit, aber doch auch eine Sündengattung, das ist die Schwachherzigkeit mit all ihren Folgen. Denn sie kann die Menschen ebenso ins Verderben stürzen wie geistige Trägheit. Wer nicht im Stande ist, Beleidigungen willig hinzunehmen, der ist schwachherzig; wer Versuchungen nicht starkmüthig widerstehen kann, der ist schwachherzig. Bei den Schwachherzigen fällt der gute Samen auf felsiges Erdreich. Eine andere Form der sündhaften Unvollkommenheit ist die Schwäche. Mit Beziehung hierauf sagt der Apostel: „Nehmet euch an der Schwachen!“ Er meint hiemit die Schwachen im Glauben, denn auch in dieser Beziehung gibt es eine krankhafte Schwäche. (Kap. 10,3)

12. Wir bitten euch aber, Brüder, anzuerkennen Die, so sich mühen unter euch, und euch vorstehen im Herrn und euch zu Herzen reden, 13. und sie gar hochzuhalten in Liebe ob ihres Werkes. 14. Wir ermahnen euch auch, Brüder, redet zu Herzen den Ungefügen, tröstet die Kleinmüthigen, nehmet euch an der Schwachen, habet Geduld mit Allen! 15. Habet Acht, daß Keiner dem Andern Böses mit Bösem vergelte! 16. Seid immerdar freudig! 17. Betet ohne Unterlaß; 18. ob Allem saget Dank, denn das ist der Wille Gottes! (I. Thess. V.12-18)

Fragmente aus "Homilien über den I. Thessalonicher-Brief" -Hl. Johannes Chrysostomos († 407)
Quelle: Bliothek der Kirchenväter -


20. Dezember - Hl. Ambrosius, Bischof von Mailand

"Wir haben ja einen guten, milden Herrn, der Allen gerne verzeihen will, der durch den Propheten dich gerufen hat mit den Worten: „Ich gedenke nicht", sagt der Herr; „du aber gedenke daran", mit anderen Worten: „Ich rufe die Sünden, welche ich dir verziehen habe, nicht in mein Gedächtniß zurück; du aber gedenke daran. Ich denke ihrer nicht um der Gnade willen, die ich dir verliehen; du aber denke daran um der Besserung willen, damit du dir bewußt bleibst, daß die Sünde dir nachgelassen ist; damit du dich nicht rühmest, als seiest du unschuldig, damit du, indem du dich selbst rechtfertigst, dich nicht ärger belastest. Willst du gerechtfertigt sein, dann bekenne vielmehr deine Missethat. Das Band der Verbrechen wird durch schamerfülltes Bekenntniß gelöst."

Ein anderes Wort sagt: „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben; wer aber dem Sohne nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm."(Joh. 3,36). Was nun bleibt, das hat doch sicher irgendwo angefangen, und zwar hier bei der Sünde, vorher nicht geglaubt zu haben. Sobald nun Jemand glaubt, weicht der Zorn Gottes und das Leben kehrt zurück. An Christus glauben, ist also Gewinn des Lebens: denn wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet.

Hier bemerken die Gegner, daß derjenige, welcher an Christus glaube, auch sein Wort bewahren müsse nach dem Ausspruche des Herrn: „Ich bin als das Licht in die Welt gekommen, damit Jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsterniß bleibe; wenn aber Jemand meine Worte hört und sie bewahrt, den werde ich nicht richten."(Joh. 12, 47). Er richtet also nicht, und du willst richten. Er sagt: „Damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsterniß bleibt", d.h. damit er, wenn er in der Finsterniß war, nicht in ihr bleibe, sondern seinen Fehler bessere, seine Schuld gutmache und meine Gebote darnach beachte. Ich habe ja gesagt: „Ich will nicht den Tod des Sünders, sondern seine Bekehrung;" und ferner: „Wer an mich glaubt, der wird nicht gerichtet." Ich halte fest an meinem Worte: „Ich bin nicht in die Welt gekommen als ihr Richter, sondern daß die Welt durch mich selig werde." Ich verzeihe gerne, bereitwillig erweise ich mein Erbarmen; ich will ja lieber Barmherzigkeit, als Brandopfer. Durch das Opfer empfiehlt sich der Gerechte; aber durch die Barmherzigkeit wird der Sünder gewonnen; „ich bin ja gekommen, nicht die Gerechten zu berufen, sondern die Sünder." Im Gesetze galt das Opfer, im Evangelium gilt Barmherzigkeit; das Gesetz ist durch Moses gegeben, durch mich aber ist die Gnade vermittelt. Kann es nun etwas Deutlicheres geben, als diese Worte? (I Buch, Kap. 12)

Der Herr fährt fort: „Wer mich verachtet und meine Worte nicht annimmt, der hat seinen Richter." Scheint dir denn nun, daß derjenige die Worte Christi annimmt, der sich nicht bekehrt? Sicherlich scheint es dir nicht so. Aber wer sich bekehrt, der nimmt das Wort des Herrn an; jenes Wort, nach welchem „ein Jeglicher sich abwenden soll von seiner Schuld." Entweder mußt du diesen Ausspruch des Herrn aus seinen Worten tilgen, oder wenn du ihn nicht leugnen kannst, mußt du dich dabei beruhigen.

Darnach muß also doch auch derjenige wohl die Gebote des Herrn beobachten, der zu sündigen aufhört, der von seinen Vergehungen abläßt. Du darfst somit den Ausspruch Christi nicht so auslegen, als babe er gesagt: „Wer mein Wort allezeit beobachtet hat." Hätte der Herr das sagen wollen, so hätte er auch das Wort „allezeit" hinzugesetzt. Da er das nicht gethan hat, so hat er von dem gesprochen, welcher das, was er gehört hat, auch befolgt. Nun hat dieser gehört, daß er seinen Fehler bessern solle; indem er das that, hat er befolgt, was er gehört hat.

Wie hart es aber sei, Jemanden zur ständigen (aussichtslosen) Bußübung zu verpflichten, der doch nachher die Gebote des Herrn beachtet, davon mag dich derjenige überzeugen, der selbst den Uebertretern seiner Gebote die Verzeihung nicht verweigert hat. So spricht er: „Wenn sie meine Satzungen entheiligen und meine Gebote nicht halten: so werde ich heimsuchen mit der Ruthe ihre Missethaten und mit Schlägen ihre Sünden; doch meine Barmherzigkeit will ich nicht von ihnen hinwegnehmen." ( Ps. 88,32). Allen verspricht er also Erbarmung.

Damit diese Erbarmung aber nicht als ohne Unheil und Recht erscheine, so ist ein Unterschied gemacht zwischen denjenigen, welche unausgesetzt den himmlischen Geboten sich gehorsam gezeigt haben und denjenigen, welche zeitweilig, von Irrthum verführt oder durch Zwang veranlaßt, zum Falle gebracht sind. Um dem Vorwurfe, als solle die eigene Beweisführung hier überreden, zu entgehen, möge das Urtheil des Herrn selbst entscheiden. „Jener Knecht", sagt er, „der den Willen seines Herrn gekannt und doch nicht gethan hat, was er wollte, wird viele Streiche bekommen; der ihn aber nicht gekannt, wird weniger bekommen." (Luk. 12,47). Beide werden, wenn sie glauben, aufgenommen nach dem Wort des Apostels: „Wen der Herr lieb hat. den züchtigt er; er schlägt jedes Kind, das er aufnimmt."(Hebr. 12,6). Den er züchtigt, den übergibt er dem Tode nicht, wie geschrieben steht: „Hart gezüchtigt hat mich der Herr, aber dem Tode nicht übergeben." (Ps. 117,18). (I Buch, Kap. 12)

Uebrigens könnte ich demjenigen, der die Worte des Apostels von der Buße versteht, auch antworten, daß das, was bei den Menschen unmöglich, doch möglich ist bei Gott. Der Herr kann, wenn er will, die Sünden nachlassen auch da, wo uns die Nachlassung unmöglich scheinen möchte. Schien es doch auch unmöglich, daß das Wasser die Sünde abwaschen könnte, und ebenso glaubte auch Naaman der Syrer nicht, daß sein Aussatz durch das Wasser könnte hinweggenommen werden. Was aber in der That unmöglich war, das hat Gott, der uns so wunderbare Gnade verliehen, möglich gemacht. So schien es denn auch unmöglich, daß in der Buße die Sünden nachgelassen würden. Christus aber verlieh den Aposteln diese Gewalt, die von ihnen auf das priesterliche Amt übergegangen ist. Was also unmöglich schien, ist möglich geworden. - Gleichwohl überzeugt uns die richtige, begründete Auslegung, daß der Apostel hier von der Taufe spricht, daß sie nämlich nicht wiederholt werden soll. (II Buch, Kap. 2)

Wollen nun die Anderen sich nicht bekehren, dann kehret ihr wenigstens um, die ihr in wiederholtem Falle von der erhabenen Höhe der Unschuld und des Glaubens herabgefallen seid. Wir haben ja einen guten, milden Herrn, der Allen gerne verzeihen will, der durch den Propheten dich gerufen hat mit den Worten: „Ich bin es, ich allein, der deine Missethaten tilgt; und deiner Sünden gedenke ich nicht; du aber sei eingedenk und wir wollen rechten mit einander." „Ich gedenke nicht", sagt der Herr; „du aber gedenke daran", mit anderen Worten: „Ich rufe die Sünden, welche ich dir verziehen habe, nicht in mein Gedächtniß zurück; mit Vergessenheit sind sie bedeckt; du aber gedenke daran. Ich denke ihrer nicht um der Gnade willen, die ich dir verliehen; du aber denke daran um der Besserung willen, damit du dir bewußt bleibst, daß die Sünde dir nachgelassen ist; damit du dich nicht rühmest, als seiest du unschuldig, damit du, indem du dich selbst rechtfertigst, dich nicht ärger belastest. Willst du gerechtfertigt sein, dann bekenne vielmehr deine Missethat. Das Band der Verbrechen wird durch schamerfülltes Bekenntniß gelöst." (II Buch, Kap. 6)

Fragmente aus "Über die Buße (De paenitentia)" -Ambrosius von Mailand († 397)


Wer also die göttliche Liebe in sich aufgenommen hat, der verachtet alles Irdische zumal, tritt mit Füßen alle Lüste des Körpers, sieht hinweg über Reichtum und Ruhm und alle Ehre von Seiten der Menschen. Königlicher Purpur ist ihm feil wie Spinngewebe, und Edelsteine erachtet er dem Kiese am Meeresufer gleich. Die Gesundheit des Körpers hält er nicht für Glück und nicht für Unglück die Krankheit. Er nennt die Armut nicht Unheil und bemißt das Glück nicht nach Reichtum und Wohlleben. Er weiß gar gut, daß das alles dem Flusse des Wassers gleicht, das an den Bäumen am Ufer vorbeifließt, bei keinem Halt macht. So verhält es sich mit Armut und Reichtum, Gesundheit und Krankheit, Ehre und Verachtung und allem anderen, was an der menschlichen Natur vorbeizieht, nicht bei derselben verbleibt, sondern stetig die Besitzer wechselt, fortwährend von dem einen zum andern übergehend. Denn viele verfallen aus Wohlstand in äußerste Armut, und viele Arme steigen in die Zahl der Reichen hinauf. Krankheit und Gesundheit wechseln in den Körpern aller, bei den Darbenden und den Genießenden.

Tugend und göttliche Weisheit sind allein ständig unter den Gütern. Sie überwinden die Hände des Räubers, die Zunge des Verleumders, Wolken von feindlichen Geschossen und Speeren. Sie werden keine Beute des Feuers, kein Spiel der Sturmflut, kein Opfer des Schiffbruchs. Die Zeit mindert nicht, sondern mehrt ihre Kraft. Ihr Nährstoff ist die Liebe zu Gott. Denn es ist unmöglich, daß die göttliche Weisheit jemand erlange, der nicht feurige Liebe zu Gott besitzt. Ja diese selbst ist Weisheit. Denn Gott ist und wird die Weisheit genannt.

Der Gottliebende verachtet alles andere, schaut einzig auf den Geliebten und zieht seinen Dienst allem insgesamt vor. Er spricht und tut und denkt nur, was dem Geliebten gefällt und ihn ehrt.

Quelle: Bliothek der Kirchenväter