Fest der Orthodoxie

Freitag, den 06. März 2009 um 23:15 Uhr
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Zum Thema "Große Fastenzeit"- " Fasten" - " Beichte" - " Empfang der Heiligen Gaben"

Erzpriester Nikolai Artemoff: "Über die Bedeutung der Ikonenverehrung in der Orthodoxie in dt.Sprache - Video", zum „Fest der Orthodoxie“.

Am ersten Sonntag der Großen Fastenzeit feiert die Hl. Kirche den Sieg der Orthodoxie. In allen Ge­meinden wird ein Bittgottesdienst für die Umkehr der Verirrten und vom orthodoxen Glauben abtrün­nig Gewordenen gehalten. In den Kathedralkirchen, wo die Fülle der Kirche sich im bischöflichen Got­tesdienst offenbart, erfolgt der Ritus der Orthodo­xie. FILM: Ritus der Orthodoxie

 

Diesem Ritus liegt ein Ereignis des 9. Jhs. zu­grunde: im Jahre 842 feierte die Kirche den endgül­tigen Sieg über die Häresie der Bilderstürmer, die bereits im Jahre 787 im 7. Ökumenischen Konzil verurteilt worden war. Aber der Sieg der Orthodoxie begriff nicht nur dieses Konzil, sondern alle voran­gegangenen Konzile mit ein und hatte so die Be­deutung des abschließenden Triumphes über alle Häresien.

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Zu Beginn des Ritus werden zahlreiche Ikonen in der Mitte der Kirche aufgestellt, am Ende küßt das Volk alle diese Ikonen, um damit die Ikonenver­ehrung als organischen Teil der Orthodoxie zu be­kunden.

Der Ritus beginnt mit dem Psalm 74 (75), in dem es heißt "Gott ist der Richter" und die Menschen aufgerufen werden, sich nicht in stolzem Übermut des eigenen Verstandes zu rühmen. Danach bittet die Kirche den Herrn, daß Er sie unbeschadet und unüberwunden von Häresien und Aberglauben be­wahre, das Zerreißen der Kirche mildere, das durch Unbeständigkeit hinsichtlich der Wahrheit Christi hervorgerufen wird, die Abgefallenen zur Erkennt­nis der Wahrheit hinwende und Seiner auserwähl­ten Herde zuzähle, die Gedanken derer, die vom Unglauben verfinstert sind, mit dem Licht Seiner Gotteserkenntnis erleuchte, die Treuen aber in un­erschütterlicher Rechtgläubigkeit festige.

Der Apo­stel ruft uns auf: "hütet euch vor denen, die Zwie­spalt und Ärgernis anrichten, entgegen der Lehre, die ihr gelernt habt, und wendet euch von ihnen ab", von denen, die "durch süße Worte und schöne Reden die Herzen der Arglosen verführen" - "ich will, daß ihr weise seid zum Guten, aber einfältig zum Bösen. Der Gott des Friedens aber wird in kurzem den Satan unter eure Füße zertreten" (ges. Lesung: Röm 16, 17-20).

In der Evangeliumslesung hören wir den Herrn Selbst: "es ist nicht der Wille eures Vaters, der in den Himmeln ist, daß eines dieser Kleinen verlorengehe". Er zeigt die Sorge des Menschensohnes um das "verlorene Schaf" und sagt weiter, wenn ein Bruder wider dich sün­digt, mußt du ihn unter zwei Augen zurechtweisen,und wenn dies nicht zu seiner Besserung führt, in Gegenwart von ein oder zwei Zeugen." Wenn er auf diese nicht hören will, so sage es der Kirche - und wenn er auf die Kirche nicht hören will, so sei er dir wie der Heide und Zöllner".
Hier ist keine Rede von der leichtfertigen Verurteilung, der man in unseren Tagen so oft begegnet und durch welche sich die Menschen - zum großen Kummer der Kirche - sel­ber von der kirchlichen Gemeinschaft trennen ihren Leidenschaften, ihrem Argwohn, Unmut u.a. zulie­be. Nein! Hier geht es um die volle Verantwortung: "Wahrlich, ich sage euch, alles, was ihr auf Erden bindet, wird im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden löst, wird im Himmel gelöst sein" (Mt. 18,10-18).

Nach dieser Lesung betet die Kirche, daß in un­seren Herzen wahre Liebe herrschen möge, und der Hierarch liest ein Dankgebet für die Menschen­liebe des Herrn, der die Kirche führt. "Aber da wir viel Straucheln sehen - so fährt er fort - bitten wir Dich innig, allgütiger Herr: schaue auf Deine Kirche, und siehe, wenn wir Deine heilbringende Frohbot­schaft auch freudig aufnahmen, so bewirken doch die Dornen der eitlen Sorgen und der Leidenschaf­ten, daß diese (die Frohbotschaft) bei manchen wenig fruchtbringend und bei manchen ganz frucht­los bleibt".
Die Gebetsworte erinnern uns an das Gleichnis vom Sämann (Mt 13,3). Gerade unsere mangelnde Bereitschaft zu echt kirchlicher Askese trägt zur Entwicklung von Versuchungen, Schismen und Häresien bei, ist Ursache dafür, daß Men­schen, "indem sie sich im Unglauben gegen die Wahrheit Deines Evangeliums stellen, sich von Deinem Erbe trennen, Deine Gnade verwerfen und dem Gericht Deines allheiligen Wortes anheimfal­len". Niemand soll deshalb stolz auf seine Gläubig­keit sein. Das Wirken des Unglaubens in der Welt um uns richtet uns als an der spirituellen Erkaltung Mitbeteiligte. Dieses Bewußtsein muß uns im Stre­ben zum tatsächlichen Glauben stärken und uns zum heißen Flehen bewegen: "Erbarmungsreicher und allmächtiger Herr, zürne nicht bis zum Ende! Sei gnädig, fleht Deine Kirche zu Dir, der Du den Anführer und Vollender unseres Heils Jesus Chris­tus vorangestellt hast, sei uns gnädig, stärke uns im rechten Glauben durch deine Kraft, den Verirrten erleuchte die Augen des Verstandes durch Dein göttliches Licht, auf daß sie Deine Wahrheit erken­nen; erweiche ihr verhärtetes Herz und öffne ihre Ohren, damit sie Deine Stimme erkennen und sich zu Dir wenden, unserem Retter. Bessere, o Herr, die Entartung einiger (von uns) und die Lebensfüh­rung, die der christlichen Frömmigkeit nicht entspricht; bewirke, daß wir alle heilig und tadellos leben, und so der heilbringende Glaube in unseren Herzen Wurzel faßt und gute Früchte bringt".

Letzteres ist nicht möglich ohne daß wir hineinwachsen in die heilbringende Befolgung der Gebote Christi. Der Hierarch erbittet vom Herrn im Namen der ganzen Kirche für die Priester Eifer für die Bekeh­rung der Ungläubigen und in die Irre Gegangenen -"auf daß wir alle (durch die Liebe der frohen Bot­schaft Christi) so geleitet, dorthin gelangen mögen, wo die Vollendung des Glaubens ist, Erfüllung der Hoffnung und wahre Liebe". Eilfertige Forderungen nach äußerer Wohlorganisiertheit zwecks innerem Komfort, führen nur zu oft zu gegenseitiger Verur­teilung; die Kirche aber weiß, daß der Aufstiegspfad in der Liebe nicht einfach eine Verbesserung der ir­dischen Beziehungen ist, sondern erst dann wahr wird, wenn er - die Tiefe der personalen Gemein­schaft in Gott enthüllend - gänzlich auf die unendli­che Fülle des Reiches Gottes gerichtet ist. Auf dieses Ziel richtet daher hier die Kirche ihren Blick, "damit wir dort mit den Chören der reinsten, himmli­schen Kräfte Dich verherrlichen, unseren Herrn, den Vater, und den Sohn und den Heiligen Geist in alle Ewigkeit, Amen".

Predigt am Sonntag der Orthodoxie - über der Ikonenverehrung Dim lights Download

Nach dem Ausruf "Wer ist ein Gott, so groß wie unser Gott? Du bist ein Gott, der Wunder tut allein" verkündet der Protodiakon mit Worten aus den Apostelbriefen das Werk Gottes, das von Wundern bezeugt und von den Vorvätern, Propheten und Aposteln kundgetan wurde: dies ist die Enthüllung der himmlischen Geheimnisse, die Auferbauung der Kirche und die Errettung der Menschheit in ihr. In kurzen Worten tut sich vor uns die ganze Ge­schichte der Menschheit im Lichte der göttlichen Vorsehung und Huld auf: "Dieser unser Gott hat sein geliebtes Erbe, die heilige Kirche voraus­schauend und festigend, die abgefallenen Ureltern mit seinem untrüglichen Worte tröstend, schon im Paradies den Grund zu derselben gelegt; dieser unser Gott hat, in der Zuführung zu dieser heilsa­men Verheißung, sich nicht unbezeugt gelassen..." Zu-führung! In der lebendigen und unmittelbaren Sprache der Bibel müssen wir dies wörtlich verste­hen, d.h. die starke Hand Gottes Selbst fühlen, der uns auf Seinem, vielleicht dornigen, doch wahren Pfad, dorthin leitet. Wie es denn heißt: "Mit starker Hand hat euch der Herr von dannen geführt" (Ex 13,3) oder wie im Psalm gesungen wird: "Mit star­ker Hand und ausgestrecktem Arme " (Ps 135,12)!

Der Weg des Herrn ist in seiner Unerschütter­lichkeit eindeutig. Er ist historisch. Dieser in der Menschheitsgeschichte verwurzelte Pfad zeugt mächtig von der Kirche, als dem Werk Gottes, und führt uns weg von allen selbstgefälligen, äußerli­chen Vorstellungen über die Kirche. "Dieser selig­machenden Offenbarung nachfolgend, an dieses Evangelium uns haltend, glauben wir an Einen Gott, den Allmächtigen...".
Das ist Er: der wahrhaftige Gott - der Retter, Gott - die Liebe, der eifernde Gott (Ex 20,5; 34,14; Nahum 1,2), nicht aber eine irgendwie unseren Be­dürfnissen angepaßte, angenehme Vorstellung von Gott. Im Gedanken an die Worte der Schrift "Der Herr wird sein Volk richten" sagt der Apostel Pau­lus: "Furchtbar ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen!" (Hebr 10,31).

Die Liebe Christi begründet den wahren Glau­ben und setzt seine Grenzen, ohne welche die Ver­führer "diese Kleinen" vom himmlischen Vater fort­reißen ins Verderben hinein. Darüber sagte der Herr: "Wer aber einem dieser Kleinen, die gläubi­gen Herzens sind, Anlaß zum Bösen gibt, dem ist es besser, daß ihm ein Mühlstein an den Hals ge­hängt und er ins Meer geworfen wird. Wenn deine Hand dich zum Bösen reizt, haue sie ab" usw. (Mk 9, 42-50). Deshalb bekräftigt die Kirche nach dem Glaubensbekenntnis: "Dies ist der apostolische Glaube, dies ist der Glaube der Väter, dies ist der orthodoxe Glaube; dieser Glaube hat die ganze Welt gefestigt. Noch nehmen wir an und bekräftigen die Konzilien der Heiligen Väter und ihre mit der göttlichen Offenbarung übereinstimmenden Über­lieferungen und Schriften..."

Wiederum: Die Kirche akzeptiert nicht jedes einzeln für sich genommene Wort der heiligen Väter, sondern schränkt gewisse Aussagen als persönliche Meinungen ein und be­richtigt sie, oder legt sie gar beiseite. Auf diese Weise unterliegt auch das von den heiligen Vätern in ihren verschiedenen Werken Dargelegte dem Verständnis der Kirche, in das wir ebenso hinein­wachsen müssen wie in die kirchliche Auslegung der Bibel und in die lebendige kirchliche Wahrneh­mung der Gottesdienste.

"Der heiligen Schrift folgend und festhaltend an der Überlieferung der ersten Kirche" (insofern als bei weitem nicht alles aufgeschrieben ist), feiert die Kirche jene, die für die Göttliche Offenbarung ein­traten und verwirft gleichzeitig jene, die sich nicht "zu dem ihre Reue und Umkehr erwartenden Herrn" bekehrten. Wer sind diese? Kurz werden nun jene "Anlässe zum Bösen" dargelegt, die keinen Platz in der Kirche Christi haben, und die jeder orthodox Glaubende von sich "abhauen" muß:

- Die Leugnung der Existenz Gottes; die Be­hauptung, daß diese Welt selbstexistent ist und es keine Vorsehung Gottes gibt, sondern der Zufall die Ereignisse regiert.

- Die Verneinung, daß Gott Geist ist; jegliche Form der Reduzierung Gottes auf die Materie oder die Behauptung, daß Gott nicht gerecht, barmherzig, allweise, allwissend ist und ähnliche Lästerungen.

- Die Leugnung dessen, daß der Sohn Gottes nicht eines Wesens mit dem Vater ist, daß ihm die gleiche Ehre gebührt, dasselbe in Bezug auf den Heiligen Geist, oder die Behauptung, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist seien nicht Ein Gott.- Die Leugnung dessen, daß das Kommen des Sohnes Gottes im Fleisch, Sein freiwilliges Leiden, Sein Tod und Seine Auferstehung für unsere Erlö­sung unabdingbar sind.

- Die Nichtannahme dessen, daß die durch das Evangelium verkündigte Erlösung das einzige Mit­tel zur Rechtfertigung vor Gott ist.- Die unverschämte Behauptung, daß die Allrei­ne Jungfrau Maria nicht Jungfrau war vor der Ge­burt Christi, bei Seiner Geburt und nach Seiner Ge­burt.

- Der Unglaube, daß der Heilige Geist Selbst die Propheten und Apostel erleuchtete, und Selbst durch sie den wahren Weg zum ewigen Heil verkündete, und diesen auch durch Wunder bestä­tigte. Der Unglaube, daß dieser selbe Heilige Geist in den Herzen der gläubigen und wahren Christen lebt, sie lehrt und in jede Wahrheit leitet.

- Die Leugnung der unsterblichen Seele, des Weltendes, des zukünftigen Gerichtes, der ewigen Belohnung im Himmel für das Gute und zugleich der Verurteilung der Sünden.- Die Verwerfung der Heiligen Mysterien, die Be­standteil des Lebens der Kirche Christi sind.

- Die Verwerfung der Konzilien und der Überlie­ferungen der heiligen Väter, die mit der göttlichen Offenbarung übereinstimmen, und die von der Or­thodoxen katholischen Kirche bewahrt werden.

- Die Idee, daß die orthodoxen Herrscher ohne göttliches Wohlgefallen auf den Thron gelangen, und daß bei ihrer Salbung sich nicht die Gaben des Heiligen Geistes auf sie ergießen zum Tragen dieser hohen verantwortungsvollen Berufung, und als Folge dieses Irrdenkens das Verfallen in Revol­te und Verrat.

- Die Behauptung, daß die heiligen Ikonen Götzen seien, was lästerlich ist, weil die Kirche sie aufstellt zur Erinnerung an die Werke Gottes und Seiner Heiligen, damit in den auf die Ikonen Schau­enden, der Wille zur Nachahmung und zu ehrfürch­tigem Leben erwachse.

- Theosophische und andere irrsinnige Lehren, daß unser Herr Jesus Christus nicht nur einmal auf die Erde kam und Fleisch annahm, sondern Sich mehrmals verkörperte (Reinkarnationslehre).

- Die Leugnung, daß der Eingeborene Sohn Gottes die wahre Weisheit des Vaters ist und die Suche irgendeiner anderen Weisheit (Sophia) ent­gegen der Göttlichen Schrift.

- Freimaurertum, Okkultismus, Spiritismus, Zau­berei und Versuche jeder Art, die Zukunft zu erfah­ren, worin in Wirklichkeit der Unglaube an den Einen Gott zum Ausdruck kommt und der Unwille, das Leben mit Demut in Seine Hände zu legen, ausdrückt, und wodurch in der Tat Dämonen her­beigerufen werden und der Mensch in Götzen­dienst verfällt.

- Der Gedanke, in dem eigentlich ein Angriff auf die Kirche Christi besteht, daß die Kirche Christi angeblich in Zweige geteilt sei, die in Lehre und Leben unterschiedlich sind, und die Behauptung, daß es keine sichtbare Kirche gebe, sondern diese sich erst in Zukunft zusammensetzen müsse aus ver­schiedenen Zweigen, Schismen und heterodoxen Bekenntnissen; die Nichtunterscheidung des wah­ren Priestertums und der wahren Mysterien in der Kirche von den häretischen mit der Behauptung, daß letztere zum Heil genügen; und die Meinung, daß in solch einer Vermischung die brüderliche christliche Liebe bestehe (branch-theory, Ökumenismus).

Zum Schluß werden auch alle von der Kirche Christi abgefallenen Verfolger verworfen, die ihre Hand gegen den Gesalbten Gottes erhoben, Geist­liche umbrachten, Heiligtümer schändeten, Kirchen Gottes zerstörten, unsere Brüder quälen und unser Vaterland entehrten (Kommunismus).

Dagegen wird allen, die durch Wort und Lehre, Schriften und Leiden, wie durch ihr gottgefälliges Leben für die Orthodoxie kämpften, das Gebet um "ewiges Gedenken" zuteil. Hier werden namentlich einige fromme griechische Herrscher und eine Reihe von russischen Herrschern, angefangen mit den Heiligen Vladimir und Olga, genannt, aber auch hervorragende Verteidiger der Orthodoxie, wie die Heiligen Athanasios der Große (1. Ökum. Konzil), Basilios der Große, Gregor von Nazianz und Johan­nes Chrysostomos, die um die Zeit des 2. Ökumeni­schen Konzils gewirkt haben, Kyrill von Alexandria, dessen Namen in Zusammenhang steht mit dem 3., dem 4. und dem 5. Ökumenischen Konzil, auf wel­chen der Monophysitismus als Häresie erklärt wurde, Maximus der Bekenner, der 20 Jahre lang im Kampf gegen die monotheletische Häresie gelit­ten hat, die nach seinem Tode auf dem 6. Ökumeni­schen Konzil verurteilt wurde, die Patriarchen Tara­sios und Methodios, die der ikonoklastischen Häre­sie ein Ende bereiteten, und schließlich Markos von Ephesus, der die Orthodoxie vor der trügerischen, 1439 in Florenz abgeschlossenen Union verteidigt hatte.

Das ist der einzige Fall, daß das "Ewige Geden­ken" für bereits verherrlichte Heilige gesungen wird. Wird doch das "Ewige Gedenken" zum letzten mal bei der letzten Panichida vor der Kanonisation des Heiligen verkündet. Dieses Detail ist bedeutsam: nebeneinander und vereint stehen die verherrlich­ten Heiligen mit anderen nicht verherrlichten ortho­doxen Hierarchen, Fürsten, die für den orthodoxen Glauben gefallen sind, und überhaupt mit "allen im wahren Glauben, in der Frömmigkeit und der Hoff­nung auf die Auferstehung entschlafenen orthodo­xen Christen". Dies zeigt ein Verständnis von Heili­gung und Heil in der Hl. Kirche, das in unserer Zeit ungewohnt geworden ist.Unter dem Einfluß nicht-orthodoxer Lehren wird Heiligkeit mit einer (vermeintlichen) Sündlosigkeit verwechselt, und im Alltagsbewußtsein erscheinen die Heiligen dann häufig irgendwie überhöht und durch Überhöhung von uns getrennt. Aber eine solche Trennung ist der Kirche fremd. Die kirchliche Auffassung des einen begnadeten Organismus ist anders – einfacher und ganzheitlicher. Man muß sich also von manchen außerkirchlichen Vorurteilen freimachen, die das Licht der Einfachheit des Evangeliums verhüllen. So ist es nicht verwunderlich, daß der Ritus der Or­thodoxie mancherlei Fragen aufwirft. Das ist gut so! Eine "komfortable", eine "angepaßte" Kirche, die uns vor keine Probleme stellen würde, wäre nicht die Kirche. Die Kirche gibt dem "Geist dieser Welt" keine Ruhe. Sie reißt uns aus dem verderblichen Schlaf der Gleichgültigkeit. Aber der "Geist dieser Welt" widersetzt sich hier, wie er nur kann: er ent­stellt die kirchlichen Begriffe, die seinem Urteil nicht unterliegen, und unterschiebt ihnen einen anderen Sinn. Die Kirche befindet sich immer im Kampf. Wenn die Kirche den Glauben in ihrer Weise be­kennt, geraten wir selber als Glieder der Kirche auf des Messers Schneide, weil wir an diesem inneren Kampf teilhaben. Die Welt fordert die Kirche ständig heraus, hier aber antwortet die Kirche dem "weltli­chen Denken", als nähme sie die Herausforderung an. Und schon ist jeder von uns vor die Wahl ge­stellt, ob er den in der Kirche gewachsenen und uns um unseres Heiles willen überlieferten Ritus der Or­thodoxie annehmen oder verwerfen will.

Das Problem mag schon einfach damit beginnen: Warum noch ein derartiger Ritus zusätzlich zu dem ohnehin schon langen Gottesdienst? Wozu so viele Ausrufe "Ewiges Gedenken" und "Auf viele Jahre", denen noch dazu der lange Lobgesang des hl. Am­brosius von Mailand (4. Jh.) folgt? Warum muß man so eine Menge Ikonen inmitten der Kirche versam­meln und küssen? Was soll diese scharfe Form der Fragestellung? Warum gibt es "kein Heil außerhalb der Kirche", und wozu diese beleidigenden Worte "Häresie" und "Anathema"? Kann man nicht in Lie­be, friedlich, ruhig miteinander leben? Das alles ist doch mit dem Geist der Zeit nicht mehr vereinbar! Und schließlich noch die Beschuldigung: Hier herrscht keine christliche Liebe! Christus liebte alle...Kann man alles beantworten, was hier aufwallen kann?

Die Kirche versteht das Wort Heil nicht juristisch (nicht als bloßes Wegnehmen einer "Strafe" für eine "Übertretung" und nicht als eine äußerliche "gerechte Belohnung" für eine gewisse Anzahl von "Verdiensten"), sondern als die Fülle der Gemein­schaft im dreieinigen Gott, im gottmenschlichen Or­ganismus der Kirche Christi. Ein Mensch, der zu einer Organisation zählt, die den dreieinigen Gott leugnet, oder die Lehre von der Trinität irgendwie änderte, beraubt sich dadurch selber der Fülle dieser Gemeinschaft. Wenn es wohl recht oft ge­schieht, daß der Mensch die Trinität nur mit Worten bekennt, aber nicht in ihr lebt, dann ist es jedoch schlicht unmöglich, in der Trinität zu leben und sie doch nicht zu bekennen, sie gar nicht zu kennen oder eine entstellte Ansicht über sie zu hegen! Aber wenn man einen solchen Menschen fragt, dann be­ansprucht er auch gar nicht, orthodox genannt zu werden. Im besten Fall wird er sich allenfalls dafür interessieren, was denn das sei - die Orthodoxie.Die Kirche setzt solch einen Menschen keines­wegs herab. Sie ruft nur alle auf zum ernsthaften Nachdenken über die wichtigsten Fragen des Le­bens, des Todes und der Auferstehung (in denen persönliches Beleidigtsein ebenso fehl am Platz ist wie Gewalt). Ihre eigenen Kinder aber ruft sie auf, sich zu hüten vor dem Verlust des Kleinods, das ihnen in die Hand gegeben ist: der Möglichkeit des Heils. Das Gefühl der Sympathie und die Liebe zu den Menschen, die nicht in der Orthodoxen Kirche sind, sollte uns eher zu einem reinen Leben und ei­nem bewußten Bekenntnis motivieren, so daß auch sie den Wert der Orthodoxie erkennen, nicht aber dazu, den Kern unseres Glaubens zu verwischen. Durch falsche Furchtsamkeit berauben wir uns selbst des Lichtes Christi und bereichern die ande­ren nicht. Und dies noch im besten Fall, im schlim­meren aber können wir durch unseren eigenen Kleinglauben den anderen Menschen in den Un­glauben führen. Das nutzt weder uns noch den an­deren.Wahrlich, in der Orthodoxie - in der byzantini­schen wie auch in der russischen - respektierte man die Andersglaubenden, wenngleich man ihren Anschluß an die Kirche auch wünschte. Hier war nicht nur "Toleranz" (Ertragen), sondern mehr: ein tiefes Bewußtsein vom inneren Wert des Men­schen, ein orthodoxes Gefühl für das Echte, aus dem sich ergibt, daß man jemanden zur Liebe Gottes nur durch die eigene Lebensweise hinführen kann, nämlich durch die aufopfernde Liebe, nicht aber durch äußerliche Tricks. (Dieser aufrichtige Zugang führt allerdings wieder aus irgendeinem Grund zu Vorwürfen: die Kirche missioniere zu wenig).

Aber wie ist das Wort, daß es "außerhalb der Kirche kein Heil" gebe, in Bezug auf das Leben nach dem Tode zu verstehen? Das interessiert vie­le und wird von vielen wiederum unter dem Einfluß verfälschter Lehren im juristischen Geiste völlig un­kirchlich verstanden. Die Orthodoxie aber spricht darüber, daß mit der Erlösung "für die gesamte Menschheit die Mauer der Hölle zerstört ist; der Ab­stieg Christi in die Hölle und Seine Verkündigung dort machten den Übergang aus derselben in das Paradies möglich, d.h. aus dem gequälten Zustand in den seligen. In welcher Weise? Vermittels der Aneignung der Verkündigung Christi, sei es auch erst nach dem Tode. Die Heiden, die auf der Erde von Christus nichts wissen, sind in der gleichen Lage, wie die alttestamentliche Menschheit. Ihnen sind die Tugenden zugänglich, die vom Gewissen eingeflößt werden Aber die christliche Vervoll­kommnung ist ihnen unzugänglich. Auch was dasSchicksal nach dem Tode betrifft, sind die Heiden den alttestamentlichen Menschen ähnlich. Jene er­kannten Christus nach dem Tode und erhielten so die Möglichkeit, mit Ihm zusammen aus der Hölle hinauszugehen. Und diese ebenso: indem sie nach dem Tode Christus erkennen, reagieren sie auf Sei­ne Verkündigung und vereinigen sich mit der Kir­che, oder aber verhärten sich und liefern sich den Qualen aus.Wie können nun diese Gedanken mit der Lehre der heiligen Väter über die Unmöglichkeit des Heils außerhalb der Kirche in Übereinstimmung gebracht werden? Ganz einfach.

Erstens, ist der Begriff Heil umfassender als nur der Erhalt des Lohnes für ein tugendhaftes Leben. Heil bedeutet in der christlichen Sprache die Ver­vollkommnung mit der gnadenhaften Hilfe des Heili­gen Geistes. Außerhalb der Kirche gibt es dieses nicht. Zweitens, wird durch die obigen Gedanken keineswegs zugelassen, daß die Seligkeit außer­halb der Kirche erreicht werden kann, denn als un­umgängliche Bedingung wird hier die Vereinigung mit der Kirche vorausgesetzt, selbst wenn diese erst nach dem Tode erfolgt.

Aber wie steht es dann mit den drohenden Aus­sagen der heiligen Väter über das Schicksal der Häretiker und Schismatiker? Zunächst beziehen sich diese Worte natürlich auf die, die auf der Erde mit der Kirche in Feindschaft lagen, d.h. gegen Christus kämpften, indem sie Seinen nahtlosen Mantel zerrissen. Und doch wird es auch für einen lauwarmen Häretiker nicht leicht sein, sich mit der Kirche zu vereinen. Ist nämlich auch eine Vervoll­kommnung nach dem Tode (natürlich nur bis zum Letzten Gericht) bis zu einem gewissen Maße zwar möglich, so ist doch der ethische Zustand eines Menschen nach dem Tode nur die Fortsetzung der inneren Einstellung, in der der Mensch bei seinem Tode angetroffen wurde... Folglich werden auch bei denen, die nicht direkt und bewußt der Kirche Chris­ti feindlich gesinnt waren, ihre Irrtümer, in denen sie ihr Leben führten, doch der Vereinigung mit der Kirche im Wege stehen. Natürlich werden für diese Menschen, ebenso wie für die Heiden, die guten Taten, die Barmherzigkeit, die Liebe zum Nächsten nicht nutzlos sein. Sie werden dadurch zu einer An­gliederung an die Kirche nach dem Tode vorberei­tet. Die durch die Häresie verzerrte ethische Auffas­sung wird jedoch für die – zu einer solchen Anglie­derung an die Kirche notwendige – Umkehr ein Hindernis darstellen, während die guten Taten sich nur äußerlich als gut, in Wirklichkeit aber als nicht nutz­bringend für die Seele erweisen können.*

(ANMERKUNG: * Dieser Art sind z.B. die Werke der Barmherzigkeit ohne echte Liebe zu den Leidenden, die um des "Verdienstes" vor Gott oder aber noch schlimmer aus nichtiger Eitelkeit getan wurden. Eine Verzerrung der Dogmen findet ihren Widerhall auch in den ethi­schen Prinzipien und kann folglich auch die Werke der Wohltätig­keit in solche verwandeln, die nicht reinigen, sondern verfinstern. Von der Red: im abringen untergräbt in unserem Jahrhundert eine solche Einschätzung der eigenen "guten Taten" nicht selten auch die Vervollkommnung derer, die zwar orthodox getauft, aber in einem echten kirchlichen Leben nicht verwurzelt sind.)...

Die Meinung, die guten Werke seien ein Verdienst des Menschen, kann einer demütigen Umkehr hinder­lich sein, die Überzeugung von der eigenen Ge­rechtigkeit aber kann zum Widerstand gegen die göttliche Gerechtigkeit führen... (Vgl. Mt 7,21-22) ... Vor dem Angesicht Gottes stehend, wird sich nicht derjenige mit der Kirche vereinigen, der bloß von ihrer Wahrheit überzeugt ist (wie soll man denn davon nicht überzeugt sein, wenn man ihre Herr­lichkeit vor Augen hat?), sondern nur der, der sich als dessen würdig erweist, d.h. dessen seelische Grundhaltung rein genug sein wird. Nur der, der in sich - obwohl er der Kirche fremd war - die Tugen­den der reinen Liebe und Demut entfaltete, wird mit Gottes Hilfe diese Prüfung bestehen können.

Und doch ist dies nur unsere Vermutung... Ganz klar weist die Kirche nur auf einen und dabei bedin­gungslos rechten Weg zum Heil. Sie ruft ihre Kinder zur höchsten Vollkommenheit, denjenigen aber, die die Seligkeit an ihr vorbei erlangen möchten, ver­mittelt sie durch nichts ein falsches Sicherheitsge­fühl." (Protopresb. G. Grabbe, Die Kirche und ihre Lehre im Leben, Bd. 1, Montreal 1964, S. 23-26). Und: "Eine quälend brennende Scham wird uns alle ergreifen, wenn alle unsere Sünden in ihrer gesam­ten Kraft vor uns erscheinen werden. Dann wird auch das, was uns jetzt infolge unrichtiger Vorstel­lungen darüber, was Tugend ist, oder infolge von Selbstverblendung gut zu sein scheint, sich vor dem Angesicht Gottes in vielen Fällen als sündig er­weisen, als etwas, das uns von Gott fernhält und nur Scham und Qual hervorruft. Diese Aufdeckung unseres wirklichen ethischen Antlitzes wird dazu führen, daß die einen bereuen und dadurch das Heil erlangen werden, d.h. fähig werden, zur Eini­gung mit Gott, die anderen aber - der Demut ent­fremdet und voller Selbstrechtfertigung - aufbegeh­ren und sich erbosen werden, sich in dieser Weise grausamen Qualen anheimgebend...

Die vom Herrn Jesus Christus vollbrachte Erlö­sung eröffnete die Möglichkeit, nicht nur auf richtig­stem Wege zur Vollkommenheit zu schreiten, son­dern auch schon hier und jetzt auf der Erde teilzu­haben an der paradiesischen Seligkeit. Diese Mög­lichkeit eröffnet sich in der einen heiligen, katholi­schen und apostolischen Kirche... Über jegliches Maß hinaus geht die demjenigen zugängliche Stufe der Vollkommenheit, der auf diesem Wege uner­müdlich das Reich des Himmels erwirbt! Aber wie groß ist auch die Beschämung im Sturz dessen, dem dieser Reichtum zur Verfügung stand, der ihn jedoch mißachtete. Ein Sohn der Kirche hat also mehr Möglichkeiten als 'die Äußeren' sowohl hin­sichtlich der paradiesischen Seligkeit als auch hin­sichtlich der Intensität der künftigen Qualen (eben­da, S. 22-23).

Das ist es, weshalb die Kirche ihre Kinder vor der Verzerrung des orthodoxen Glaubens warnt, und weshalb es nötig ist, vor der gesamten Welt über die Fülle der Treue zu Christus Zeugnis abzu­legen. Die Kirche bezeugt die Wahrheit durch ihr gesamtes Gebetsleben - durch den Heiligen Geist. Deshalb sagt der Aufruf "Lasset uns einander lieben, damit wir einmütig bekennen den Vater, und den Sohn, und den Heiligen Geist, die wesenseine und untrennbare Dreieinigkeit", den wir in jeder Li­turgie hören, dasselbe aus, wie der Ritus der Ortho­doxie. Mag sein, daß der lauwarme Zuhörer an der Bedeutung dieser feurigen Worte leichter vorbei­geht, als wenn in die Mitte der Kirche die Ikonen herausgebracht werden und die Dinge - sei es auch in knapper Form - bei ihrem Namen genannt werden. Und doch sollte auch dieser über sein Gefühl der Peinlichkeit nachdenken, über die Unbe­quemlichkeit, einmal im Jahr eine weitere Stunde in der Kirche zu verbringen, um des Ritus der Ortho­doxie willen. Dieser Ritus eröffnet ja das, was im li­turgischen Glaubensbekenntnis gegeben ist. Sollte es also an der Zeit sein, den Ritus der Orthodoxie zu streichen, dann wäre auch das Glaubensbe­kenntnis aus der Liturgie zu beseitigen. Und damit zugleich die ganze Liturgie durchzustreichen, die ja das leuchtendste Bekenntnis ist, denn die Liturgie ist das Leben des Leibes der Kirche. Das heißt, man müßte einfach "Schluß machen" mit der Kirche, so wie sie in Wirklichkeit ist? Solches aus­zusprechen, ist grausam! Und so stammt wohl auch die Unzufriedenheit mehr aus Unkenntnis und Un­bedachtsamkeit.

Einigen sind die Worte "Häretiker" - "Anathema" unangenehm. Wem aber sind sie angenehm? Besser wäre es, es gäbe sie nicht, d.h. es gäbe das nicht, was sie bezeichnen müssen. Die "Häresie" ist eine Auswahl aus der ganzheitlichen Kirchlichkeit und damit eine Verzerrung von deren Fülle. Das "Anathema" aber ist die unumgängliche Offenle­gung des Zustandes der Getrenntheit von der Kir­che. Und wiederum: derjenige, der außer der Litur­gie gelegentlich die Morgen- und Abendgottesdien­ste hört, wird sicher merken, daß die Kirche tagaus tagein in verschiedensten Gesängen von demsel­ben spricht: vom wahren und vom falschen Weg, den ersten verherrlichend und den zweiten entlar­vend, zum ersten rufend und vor dem zweiten war­nend. Warum denn sonst, fragt sich, verherrlichen wir die Hll. Apostel, Propheten, Märtyrer und alle Heiligen? Über die Häresien wird in den täglichen orthodoxen Gottesdiensten ausreichend oft und be­stimmt gesprochen, entsprechend auch über deren Verwerfung. Schlichte Folgerichtigkeit würde hier wieder verlangen, den täglichen, wöchentlichen und jährlichen Gottesdienstzyklus zu streichen. Wer will das wirklich?

Man kann die Menschen, die der Orthodoxie fremd sind und diese Worte für "unschicklich" halten, ja ihre Beseitigung fordern, nicht beschuldigen. Aber, es scheint, daß hier auch mehr Mißverständ­nis und Unwissen die Feder führt. Denn wer von diesen Menschen wird tatsächlich von der orthodo­xen Kirche die Vernichtung ihres historischen Le­bens und der gottesdienstlichen Ordnung fordern, deren Bestandteil ja der Ritus der Orthodoxie ledig­lich ist. Wer kann einen solchen Selbstmord einfor­dern?Wiederum: Solche Mißverständnisse entstehen ihrerseits infolge von Assoziationen, die dem ortho­doxen Geist fremd sind. Nicht erst heute, sondern vor 100 Jahren wurde im "Handbuch des Geistli­chen" (2. Auflage, Charkov 1900) geschrieben: "Die heilige Kirche spricht in bitterem Schmerz nicht eine Verfluchung, wie manche fälschlicherweise mei­nen, sondern eine Trennung von der Gemeinschaft der Gläubigen für die Unglücklichen aus, die durch ihren Trugglauben, ihre Verhärtung und ihre eige­nen Worte sich selbst von ihr trennten".

"Würden sie im Schoße der Kirche weiter geduldet, dann könnten sie ihr Gewissen damit beruhigen ... daß ihre Denkweise mit dem Geiste des Evangeliums noch zu vereinen ist, daß sie zumindest nicht so weit vom gemeinschaftlichen Weg abgewichen sind, daß man sie für völlig verirrt halten dürfte. Und jetzt nimmt die heilige Kirche den Irrtümern ... die Anziehungskraft der besonderen Weisheit, mit der sich die Menschen selbst blenden; im Namen Gottes sprechend, nimmt sie ihnen die Hoffnung auf Sicherheit; indem sie der Pseudoweisheit von Privatpersonen das Bekenntnis des wahren Glau­bens entgegenstellt, entblößt sie die Nichtigkeit der ersteren. Somit ist ... das Anathema ihr letzter Warnruf an die Verirrten. Zugleich hat die heilige Kirche durch die Verkündigung des Anathema für die Häretiker die Absicht, ihre treuen Kinder vor dem Fall zu bewahren", und "bevor sie ihr Gericht spricht, betet die heilige Kirche mehrfach und in­brünstig darum ... daß die unendliche Liebe Gottes dem Teufel nicht gestatte, selbst ihre verhärtetsten Feinde völlig zu verblenden und in ewige Verderb­nis zu führen... Somit zeigt uns jetzt die heilige Kirche nicht etwa eine überflüssige Strenge, son­dern das notwendige Gericht der Wahrheit, das mit Liebe und Barmherzigkeit sogar zu ihren Feinden erfüllt ist, die ihr zahllose Leiden zufügten; nicht deren Vernichtung sucht sie, sondern deren Um­kehr und Heil; sie gibt sie nicht der ewigen Verflu­chung anheim, sondern in der Trennung selbst bietet sie ihnen die Vergebung und das Erbarmen an, wenn sie zur Vernunft kommen und umkehren" (S.514).

Und natürlich kann die Russische Kirche unmöglich sich mit einem Anathema an Menschen wenden, die ihr nicht angehören und überhaupt keine Beziehung zu ihr haben.Wer den Sinn des Anathema in der Orthodoxen Kirche verzerrt, oder in diesen verantwortlichsten und wirklich furchteinflößenden Worten lediglich eine leere menschliche Feindseligkeit vermutet, der gießt nur Öl ins Feuer der Verhärtung wider die Kir­che. Jeder aber, der die Irrlehren, die hier von der Kirche verworfen werden, näher betrachtet, kann sich leicht überzeugen, daß sie mit der Orthodoxie in keiner Weise vereinbar sind. Ist es zulässig, sich auf diesem Gebiete Illusionen zu machen?
Noch ein Punkt bleibt separat zu klären, umso mehr als manche den dort ausgesprochenen "Mo­narchismus" für "politisch" halten werden. Die Fein­de der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland versuchten sie immer wieder zu diskreditieren, in­dem sie sie als "politisierend" und "monarchistisch" darstellten, und Unverstand im Westen hat dieses Lied vielmals nachgesungen. Lassen wir einmal beiseite, daß es im Westen genügend Länder gibt, die die Monarchie zum eigenen Nutzen und ohne Einschränkung der Freiheit bewahrten oder sogar wiederherstellten (wie Spanien), und auch daß in Rußland selbst nicht nur das Verständnis, sondern auch die Verehrung für das Martyrium der Zarenfamilie wächst, die Hinwendung zum Gedanken an eine monarchische Gesellschaftsordnung. In dem Maße, wie diese Frage tatsächlich kirchlich ist, sollte man seine persönliche Meinung beiseite lassen und folgendes sagen: Es ist unmög­lich, die Monarchie in irgendeiner unserem Volk ei­gentümlichen Form auszuschließen, ebenso wie es unzulässig ist, sie einem Volk, das hierfür nicht bereit ist, aufzuzwingen.

Wovon ist aber eigentlich im Ritus der Orthodoxie die Rede und was bedeutet dies für uns in unserer Zeit? Dort ist die Rede von der Myronsal­bung. Die Myronsalbung wird jedem Christen bei der Taufe gespendet, damit er herrsche in der Kö­nigsherrschaft Christi. Das Wort Christus (vom griech. "chrisma" - Salbung) heißt: Gesalbter. Eine Nottaufe, die ohne Priester durch einen Laien ge­spendet wurde, muß vom Priester vor dem Emp­fang der Kommunion in der Kirche vervollständigt werden... durch das Sakrament der Myronsalbung! Sonst kann der Betreffende nicht zum Empfang des Leibes und Blutes Christi treten, d.h. am Vollzug der Liturgie voll teilnehmen. Die orthodoxen Chris­ten sind "die königliche Priesterschaft" (1. Petr 2,9). Das orthodoxe Volk ist eine kirchliche Versamm­lung. Dort wo nun dieses Volk einen Staat bildet, ist auch die Spendung des Mysteriums der Myronsal­bung durch die Kirche an den Zaren möglich - um seines kirchlichen Dienstes am kirchlichen Volk willen, um einer solchen Wechselwirkung der Liebe in Christus willen, um der Verantwortung einer so hohen Berufung willen, deren Dimensionen - natür­lich - unverständlich bleiben für jene, die an die Mysterien Christi nicht glauben, deren wahre Di­mensionen jedoch deutlich erkannt werden im kirchlichen Geiste und im Lichte des Kreuztragens, des Dienstes an Gott im gesamten Leben des Vol­kes. Von einer solchen Auffassung sind wir - d.h. unser Volk - heute tatsächlich weit entfernt, wes­halb ja auch dieses Sakrament so nicht gespendet wird. Aber vielleicht kann der eine oder andere füh­len, daß uns dies irgendwie fehlt. Die Kirche sagt uns jedenfalls klar, daß wir ein solches Mysterium nicht verwerfen sollen, denn dadurch würden wir in unsere Seelen das Prinzip des Aufruhrs hineinle­gen, in dem das schöpferische Prinzip der gemein­schaftlichen Liebe zu Gott als höchster Bestrebung des kirchlichen Volkes fehlt.

Man wird uns nun auf den Mißbrauch der Macht und besonders auf die Vergiftung durch den Geist des Absolutismus hinweisen. Aber: die Sünde hebt das Heiligtum nicht auf, sondern das Heiligtum rich­tet immer über die Sünde. Das Meer der Sünde, das in unserer Heimat und in der ganzen Welt sich ausbreitet, überzeugt uns keineswegs von der Not­wendigkeit, uns von Christus - dem Gesalbten Gottes - loszusagen. Man kann also eine bewußte Unterordnung der Staatsmacht unter Christus un­möglich ausschließen. Allerdings, zufällig kann und wird eine solche Unterordnung nicht geschehen. Und auch darüber ist wiederum im Ritus der Ortho­doxie die Rede: sie geschieht nicht anders als nach besonderem göttlichen Wohlgefallen (Huld), d.h. wenn eine Salbung "der Gabe des Heiligen Geistes zum Tragen dieser hohen Berufung" möglich würde. Jedenfalls sollen wir das Mysterium der Sal­bung eines Königs oder Zaren nicht verwerfen, denn damit würden wir das Mysterium der Myron­salbung verwerfen, das jeder von uns zum Dienst im liturgischen Leibe der Kirche Christi als einer "königlichen Priesterschaft", eines "geheiligten Volkes" (1. Petr 2,9) empfing, d.h. wir würden damit unsere eigene königliche Berufung vergessen bzw. herabsetzen. Würden wir das uns beim Sakrament der Myronsalbung geschenkte "Siegel der Gabe des Heiligen Geistes" verwerten, dann würden wir damit die Bereitschaft bekunden, das Siegel des fremden Geistes, das Zeichen des Antichristen an­zunehmen (s. Apokalypse 13,16-17 u. 14,9) und statt des von uns empfangenen Geistes des Frie­dens Christi (Eph 2,14) in unsere Seelen den Auf­ruhr der "Söhne des Ungehorsams" (Eph 2,2 u. 5,6) einzuführen, d.h. den Geist der Besessenheit. Aus der geistigen Vernichtung vieler Völker in unse­rem Jahrhundert sehen wir deutlich: auf diesem Wege gibt es keinerlei schöpferische Energie. Die Wiederherstellung einer friedlichen, schöpferischen Tätigkeit liegt auf anderen Wegen und ist auf das Reich Christi als dem allerreinsten Ziel und Lebens­quell zurückzuführen. Das ist der geistliche Sinn dieses Wortes der Kirche, wenn man es auf unsere Situation anwendet.

Konkret besteht in diesem Sinne unser Wachs­tum nicht in übereilten monarchistischen Träumen. Die brauchen wir gerade am allerwenigsten. Sondern im Licht dieses Wortes der Kirche sollten wir uns dessen bewußt werden, daß die Sünde des Za­renmordes nicht etwa nur darin besteht, daß juristi­sche und menschliche Normen mit Füßen getreten wurden, und nicht nur in der unmenschlichen Ver­nichtung der gesamten Familie (worauf natürlich die Vernichtung der Familie als solcher, d.h. des Familienlebens als Grundlage des Volkes, folgte durch die sieben Jahrzehnte der Orgie der Gottlo­sigkeit), vielmehr besteht die Sünde über dies alles hinaus - im Übergriff gegen unsere Heilige Taufe mit dem dazugehörenden Sakrament der Myronsal­bung, und von daher erst gegen das kirchlich-volkshafte Prinzip im historischen Staatswesen. Die Kirche lehrt uns das geistliche Erkennen der hier vorliegenden Sünde. Dieses aber ist für unsere Umkehr und Wiederherstellung des Volkslebens unbedingt notwendig, auch dann, wenn die Gesell­schaftsordnung in Rußland künftig nicht monar­chisch sein wird und folglich ohne die biblische Per­spektive des Königtums, wenn also der kirchliche Segen für die wechselnden Staatsführer entspre­chend nicht die Form der Salbung haben kann, die für ein ganzes Leben gespendet wird, sondern an­dere Formen finden wird (wie z.B. einen Bittgottes­dienst). Unabhängig davon ist das Prinzip der Salbung, das in der Kirche hinsichtlich des Dienstes eines Zaren bestand und bis heute hinsichtlich der "königlichen Priesterschaft" eines jeden Christen besteht, sinnvoll und bleibt unverändert. Ebenso gilt auch, daß wir nicht zufällig getauft sind, sondern gemäß dem göttlichen Wohlgefallen diese hohe Be­rufung empfingen.
Wir sollen diesen Ruf der Kirche Christi erhören und erlernen, denn an einem jeden von uns erfüllen sich die Worte unseres Herrn Jesus Christus: "Nie­mand kann zu Mir kommen, wenn ihn der Vater nicht zieht, der Mich gesandt hat, und Ich werde ihn auferwecken am letzten Tag. Bei den Propheten steht geschrieben: 'und es werden alle von Gott ge­lehrt sein'. Jeder, der es vom Vater hörte und erlern­te, kommt zu Mir... Ich bin das Brot des Lebens, das vom Himmel herniedergekommen ist..." (Jo 6, 44-51).

Es ist die hl. Myronsalbung, die Gabe des Heili­gen Geistes, die uns lehrt, den Sohn im Vater zu er­kennen, die uns zur hl. Kommunion führt, uns ein­führt in die Katholizität (sobornost') der Kirche, in die Gemeinschaft mit der wesenseinen und un­trennbaren Dreieinigkeit, welcher gebührt die Macht und die Herrlichkeit, in Ewigkeit. Amen.

Erzpriester Nikolai Artemoff
(aus „Bote der deutschen Diözese der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland““, Nr. 1, 1990, S. 1-8)

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