Wir stellen im Teil 1 eine auf den Schriften der heiligen Väter basierende Abhandlung des (nunmehr heiliggesprochenen) Bischofs Ignatij Brjantschaninow (1807-1867) über die acht Hauptleidenschaften vor. Es folgt im Teil 2 seine Abhandlung: "Über die Tugenden, die den acht sündhaften Hauptleidenschaften entgegenstehen."
Der Sinn der Begriffe "Leidenschaften - Tugenden" liegt weitaus tiefer als der allgemeingebräuchliche Sinn der Worte "Leidenschaft, leidenschaftlich" oder "Tugend, tugendhaft" und steht zur heutigen oberflächlichen Auffassung geradezu im Gegensatz. Den tatsächlichen Sinn dieser Begriffe zu erfassen, bedeutet nicht, sie nur kennenzulernen und über sie zu sprechen, sondern ihre Wirkung im eigenen persönlichen Leben wahrzunehmen, d.h. christlich zu leben, sich die Rettung Christi zu eigen zu machen, weil Christus der Arzt und Heiler unserer Seelen und Körper ist.
Leidenschaft ist Krankheit im Vollsinn des Wortes. Mit dem Wort "Leidenschaft" wird das griechische Wort "Pathos" übertragen, was auch Krankheit bedeutet, wie aus den Worten "Pathologie, pathologisch" zu ersehen ist. Die hll.Väter sahen die Sünde im Menschen als eine überaus ernsthafte Erkrankung an, und zwar als eine ansteckende Krankheit, die von Mensch zu Mensch übertragen wird, als menschenmordende Lüge, die sich der Mensch in seiner ganzen Wesenheit angeeignet hat.
Der hl.Abba Dorotheos schreibt dazu: "So kam unser Herr zu uns, nahm unser Wesen an, den Anfangsgrund unseres Bestandes, und machte sich zum neuen Adam, nach dem Bilde Gottes, der den ersten Adam erschaffen hatte, erneuerte den natürlichen Zustand und ließ die Gefühle wieder gesunden, wie sie ursprünglich gewesen waren... Gott stürzte die Macht des Feindes, zerschmetterte seine ganze Stärke, erlöste uns von seiner Herrschaft und befreite uns von Unterwerfung und Knechtschaft, wenn nur wir selbst nicht auf eigenen Wunsch sündigen wollten. Denn Er hat uns, wie Er sagte, "Macht gegeben, auf Schlangen und Skorpione zu treten, und über alle Gewalt des Feindes" (Lk 10,19), nachdem Er uns durch die Heilige Taufe von aller Sünde gereinigt hat, weil die Heilige Taufe alle Sünde fortnimmt und vertilgt. Außerdem gab uns der allgütige Gott, unser Unvermögen kennend und voraussehend, dass wir auch als Getaufte sündigen werden , nach Seiner Gnade die heiligen, uns reinigenden Gebote, damit wir, wenn wir es nur wollen, uns durch die Befolgung der Gebote wieder reinigen können – nicht bloß von unseren Sünden, sondern von den Leidenschaften selbst. Denn eines sind die Leidenschaften und ein anderes die Sünden. Leidenschaften sind: Zorn, Eitelkeit, Wollust, Neid, böse Begierde und ähnliches. Die Sünden aber sind die Auswirkungen der Leidenschaften, wenn man sie in die Tat umsetzt, d.h. mit dem Leib jene Handlungen vollzieht, zu denen die Leidenschaften einen bewegen, denn man kann in seinem Innern Leidenschaften haben, und dennoch nicht nach ihnen handeln."
"So gab Er uns, wie ich sagte, die Gebote, die uns von unseren Leidenschaften reinigen, von den übelsten im inneren Menschen: denn Er gibt ihm die Kraft, Gutes und Böses zu unterscheiden, regt ihn an, zeigt ihm die Gründe, durch die er in Sündhaftigkeit verfällt."
"Er befreite uns durch die Heilige Taufe, indem Er uns die Freiheit schenkte, Gutes zu tun, wenn wir es wollen, und uns nicht sozusagen mit Macht zum Bösen hinreißen lassen, denn wer durch Sünden geknechtet ist, den belasten sie und reißen ihn fort, wie gesagt ist: ‚von seiner Sünde Stricken wird er gehalten‘ (Spr 5,22).
Dann lehrt Er uns, wie man sich mittels der heiligen Gebote auch von den Leidenschaften reinigt, damit man durch sie nicht wieder in dieselben Sünden fällt. Schließlich zeigt Er uns auch den Grund an, durch den der Mensch zur Missachtung und zum Ungehorsam sogar den Geboten Gottes gegenüber gelangt, und auf diese Weise gibt Er uns das Heilmittel gegen diesen Grund damit wir die Fähigkeit erlangen, gehorsam und gerettet zu werden. Denn der Hochmut erzeugt die Verachtung, der Ungehorsam den Untergang, ebenso wie die Demut den Gehorsam und die Rettung der Seele erzeugt. Ich meine aber die wahre Demut, nicht nur die in Worten oder im äußeren Verhalten, sondern das eigentlich demütige Unterpfand (das demütige Gefühl), das im Herzen selbst Fuß gefasst hat. Wer die wahre Demut und Ruhe für seine Seele finden will, lerne die Demut, und er wird feststellen, dass in ihr alle Freude und alle Herrlichkeit und alle Ruhe liegt, wie im Stolz alles dem Entgegengesetztes... Kommt, erweckt in euch die Demut statt den Hochmut, dem ihr abgestorben seid. "Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen." (Mt 11,29). *) (russ.) „Erbauliche Predigten unseres hl.Vaters Abba Dorotheos, Erste Predigt, Dreifaltigkeitslavra vom hl.Sergius,1900, Jordanville 1970, S.22-26.
"Der Ursprung der Leidenschaften sind sündige Handlungen...", schreibt der Hl.Gregor der Sinait. Und er fährt fort: "Man muss die guten Taten als ein Handeln nach den Geboten verstehen und sie entsprechend bezeichnen, die Tugenden aber als durch Gewohnheit verwurzelte gute Neigungen. So unterscheiden sich auch die sündhaften Handlungen und Neigungen voneinander."
"Das Gift des Sündenstachels zum Tode ist die leidenschaftliche seelische Gewohnheit, denn schwerlich verändern und verwandeln wir das Wesen dessen, der durch Leidenschaften sein Wesen bewusst durchdringen ließ."
"Wie die Keime zukünftiger Qualen in den Seelen der Sünder verborgen vorhanden sind, so sind die Keime zukünftiger Herrlichkeit in den Herzen der Gerechten vorhanden, und sind geistlich wirksam und werden zu eigen gemacht. Denn das Himmlische Reich ist ein tugendhaftes Leben, wie die höllische Qual die leidenschaftlichen Gewohnheiten sind."
"Künftiger Lohn und künftige Strafen sind auf gleiche Weise ewig, obwohl einige es anders ansehen. Die göttliche Gerechtigkeit wird dem einen das ewige Leben geben, aber dem anderen ewige Qual. Diese und die anderen, Gute oder Böse, die das jetzige Zeitalter durchlebt haben, werden die Vergeltung nach ihren Taten erhalten: die Menge und Größe der Vergeltung aber wird nach den Tugenden oder den durch Gewohnheit verwurzelten Leidenschaften festgesetzt."
"Feuer, Finsternis, der Wurm, die Hölle entsprechen den Leidenschaften – jede Art von Wollust, die alles verschlingende Finsternis der Unkenntnis, der unstillbare Durst nach Vergnügen, der Sündengestank, die alle wie Keime höllischer Qualen schon hier in den Seelen der Sünder peinigend wirksam werden, wenn sie sich durch lange Gewohnheit festsetzen. Leidenschaftliche Gewohnheiten sind Samen höllischer Qualen, wie wirksame Tugenden Keime des Himmlischen Reiches sind."
"Die Nacht der Leidenschaften ist die Finsternis der Unwissenheit der leidenschaftsgebärende Bereich, in dem der Fürst der Finsternis herrscht und in dem die - im übertragenen Sinne zu verstehenden - wilden Tiere, Vögel des Himmels und Kriechtiere, also die bösen Geister uns brüllend als Nahrung zu verschlingen suchen."
"Wenn die Leidenschaften wirken, dann gehen die einen Gedanken voraus, ihnen folgen die anderen: Voraus gehen die Gedanken von leidenschaftlichen Phantasien (aufeinanderfolgende bildliche Vorstellungen), dann folgen ihnen die leidenschaftlichen Gedanken (die durch jene Bilder erweckt wurden). Die Leidenschaften eilen den Dämonen voraus, und die Dämonen folgen den Leidenschaften."
"Aber nichts geschieht hier ohne das Zutun der Dämonen: Die Phantasie baut keine Bilderketten auf, und keine Leidenschaft wird wirksam ohne hintergründige dämonische Kraft. Übrigens, sie gewinnen meist durch unsere Unachtsamkeit Macht über uns."
"Die einen Leidenschaften sind körperlich, die anderen geistig; die einen sind die Leidenschaften sinnlicher Begierde, andere sind die der Gemütsregungen, und wieder andere sind gedankliche Leidenschaften; und unter diesen sind die einen – Leidenschaften des Denkens, und die anderen – des Urteilens. Sie alle verbinden sich in verschiedener Weise untereinander, und eins wirkt auf das andere, und deshalb verändern sie sich ständig."**) („Philokalia“ in russ. Sprache:) "Dobrotoljubie", Bd.5, Jordanville 1966, S.134-139.
Bischof Ignatij Brjantschaninow
"DIE ACHT HAUPTLEIDENSCHAFTEN MIT IHREN UNTERABTEILUNGEN UND ABZWEIGUNGEN"
(Den kirchenväterlichen Schriften entnommen)
1. Leibesübersättigung. Völlerei, Trunksucht, Nichtbeachtung und (eigenmächtige) Lockerung des Fastens, geheimer Genuss unzulässiger Speisen (während des Fastens), Naschsucht, allgemein: Verstoß gegen die Enthaltsamkeit. Unrechtes und übermäßiges Lieben des Körperlichen, seines Lebens und seiner Ruhe, woraus die Selbstsucht erwächst, von der die Missachtung der Treue zu Gott, zur Kirche, zur Tugend und zu den Menschen kommt.
2. Buhlerei. Unzüchtige Begierde, unzüchtige Gefühle und Wünsche des Körpers, unzüchtige Gefühle und Wünsche der Seele und des Herzens (kirchensl.: skoktanije), die Annahme unreiner Gedanken, Gespräche mit ihnen, Ergötzen und Zustimmung zu ihnen, das Verweilen in ihnen. Unzüchtige Phantasien und das Gefesseltsein durch sie. Besudelung durch Samenausfluss. Zügellosigkeit der Gefühle, besonders des Tastsinnes, was zu einer Frechheit führt, die alle Tugenden vernichtet. Zotenreißerei und Lesen wollüstiger Bücher. Natürliche unzüchtige Sünden: Unzucht und Ehebruch, und widernatürliche: Onanie, Päderastie, Sodomie, und ähnliche.
3. Geldgier. Liebe zum Geld, allgemein Liebe zum beweglichen und unbeweglichen Besitz. Der Wunsch, sich zu bereichern. Nachdenken über Mittel zur Bereicherung. Phantasieren vom Reichtum. Furcht vor dem Alter, vor plötzlicher Armut, Krankheit und Vertreibung. Geiz. Eigennutz. Zweifel an Gott, fehlendes Vertrauen auf Seine Vorsehung. Anhänglichkeit oder eine übermäßige Liebe zu verschiedenen vergänglichen Gegenständen, die der Seele die Freiheit raubt. Fesselung durch nichtige Sorgen. Das Lieben von Geschenken. Aneignung von fremdem Gut. Wucherzins. Hartherzigkeit zu armen Menschen und Bedürftigen. Schließlich: Diebstahl. Raub.
4. Zorn. Jähzorn, Aufnahme zorniger Gedanken; zornige Wunschbilder von Rache, Aufruhr des Herzens und Verfinsterung des Verstandes durch Wut; unanständiges Schreien, Streiterei, Schmähworte, harte und spitze Worte; Schlagen, Stoßen. Nachtragend sein, Hass, Feindseligkeit, Rache, Verleumdung, Verurteilung, Empörung und Beleidigung des Nächsten. Schließlich: Mord.
5. Gram. Betrübnis, Sehnsucht, Aufgabe der Hoffnung auf Gott, Zweifel an den göttlichen Verheißungen, Undankbarkeit Gott gegenüber für alles Widerfahrene, Kleinmut, Ungeduld, Gram über den Nächsten, Murren, Fehlen von Selbstbeschuldigung. Schließlich: Verrat am Kreuz, Flucht vor dem Kreuztragen.
6. Verzagtheit. Trägheit zu jeglicher guten Tat, besonders zum Gebet. Unterlassen der Gebetsregel und des Besuchs der Gottesdienste. Unterlassen des immerwährenden Gebets und erbaulicher Lesungen. Unaufmerksamkeit und Eile beim Gebet. Unachtsamkeit; Fehlen von Ehrfurcht. Müßiggang, übermäßig viel Ruhe durch Schlaf, Herumliegen und jede Art von Verzärtelung. Häufiger Ortswechsel; der Hang, die Umgebung zu wechseln, wegzufahren. Häufige Ausgänge und Spaziergänge und Besuche von Freunden. Suche nach Zerstreuung, Witze anhören, Lästerungen. Unterlassen von Verneigungen (Metanien, Prostrationen) und sonstigen körperlichen Gebetsübungen. Vergessen der eigenen Sünden. Vergessen der Gebote Christi. Nachlässigkeit. Gefangensein von eigenen Schwächen. Verlust der Gottesfurcht. Erbitterung. Gefühllosigkeit. Schließlich: Verzweiflung.
7. Eitelkeit. Streben nach irdischem Ruhm. Prahlerei. Wunsch und Trachten nach irdischen Ehren. Lieben schöner Bekleidung, häuslicher Dinge, Möbel, Maschinen, Gefährte und sonstiger Gegenstände. Achten auf die Schönheit des eigenen Gesichts, seiner angenehmen Stimme und sonstiger körperlicher Eigenschaften. Hinneigung zu den Wissenschaften und Künsten, die mit dem Zeitalter vergehen, das Streben, durch sie Erfolg zu haben, um zeitlichen irdischen Ruhm zu erlangen. Die Scham, seine Sünden zu bekennen. Ihr Verbergen vor den Menschen und dem Beichtvater. Hinterlist. Die Selbstrechtfertigung mit Worten. Widersprechen. Die Hervorhebung des eigenen Verstandes. Heuchelei. Lüge. Schmeichelei. Liebedienerei. Neid. Erniedrigung des Nächsten. Unbeständigkeit des Wesens. Verstellung. Gewissenlosigkeit. Schließlich: ein Wesen und Leben, das dämonisch bestimmt ist.
8. Stolz. Verachtung des Nächsten. Bevorzugung der eigenen Person vor allen anderen. Vermessenheit. Verfinsterung und Härte des Verstandes und des Herzens; sie dem Irdischen verhaften. Tadel. Lästerung. Unglaube. Arglist. Selbstverblendung. Fälschlich sogenannte 'Erkenntnis'. Ungehorsam gegenüber dem Gebot Gottes und der Kirche. Dem eigenen fleischlichen Willen folgen. Lesen häretischer, ausschweifender und bedeutungsloser Bücher. Ungehorsam gegenüber den Vorgesetzten. Beissender Spott. Aufgabe der christusnachahmenden Demut und des Schweigens. Verlust der Einfachheit. Verlust der Liebe zu Gott und dem Nächsten. Unwahre Philosophie. Häresie. Gottlosigkeit. Rohheit. Schließlich: Tod der Seele.
Solches sind die Krankheiten, solches die Wunden, die die eine umfassende Seuche bilden – die Hinfälligkeit des hinfälligen Adam, die aus seinem Sündenfall entstand. Über diese große Verwundung spricht der Prophet Jesaja: "Von der Fußsohle bis zum Scheitel ist kein heiler Fleck, sondern Wunden und Striemen und Eiterbeulen, nicht ausgedrückt, nicht verbunden, nicht gelindert mit Öl." (Jes. 1,6). Das bedeutet, nach der Auslegung der hll.Väter, dass die Seuche - die Sünde – nicht etwas Partielles ist, nicht nur irgendein Glied befallen hat, sondern das ganze Wesen; sie ergriff den Körper, die Seele, bemächtigte sich aller Eigenschaften, aller Kräfte des Menschen. Diese große Seuche nannte Gott den Tod, als Er Adam und Eva verbot, vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen, und sagte: "...denn welches Tages du davon issest, wirst du Todes sterben." (Gn 2, 17).
Sogleich nach dem Genuss der verbotenen Frucht fühlten die Stammeltern den ewigen Tod; in ihren Blicken erschien die körperliche Empfindung; sie sahen, dass sie nackt waren. In der Erkenntnis der körperlichen Nacktheit spiegelte sich die Entblößung der Seele ab, die die Schönheit der Reinheit verloren hatte, auf welcher der Heilige Geist geruht hatte, In den Augen lebt die körperliche Empfindung, in der Seele aber die Scham, die alle sündhaften Empfindungen vereint: den Stolz, die Unreinheit(als Eigenschaft), Gram, Verzagtheit, Verzweiflung!
Aus dem großen Siechen in den seelischen Tod; unabänderlich ist diese Hinfälligkeit, die dadurch entstanden ist, dass der Blick empor zur göttlichen Ähnlichkeit verloren ging. Diese schlimme Krankheit nennt der Apostel das Gesetz der Sünde, den Leib des Todes (Röm 7, 23-24), weil der abgetötete Verstand und das abgetötete Herz sich ganz der Erde zugewandt haben, dem körperlichen Verlangen des Leibes sklavisch dienen, sich verfinsterten, schwer geworden sind, selbst ganz zu Fleisch geworden sind. Dieser Leib ist schon nicht mehr zur Gemeinschaft mit Gott fähig (Gn 6, 3). Diese Körperlichkeit ist unfähig, die ewige, himmlische Seligkeit zu erben (1 Kor 15, 50). Die große Seuche hat sich im gesamten Menschengeschlecht ausgebreitet, wurde zum unseligen Besitz eines jedes Menschen.
Wenn ich nun mein derartig schreckliches Siechtum betrachte, auf diesen meinen Tod schaue, werde ich von bitterem Schmerz erfüllt. Unschlüssig bin ich, was soll ich denn tun? – Soll ich etwa dem Beispiel des gefallenen Adam folgen, der sich, als er seine Nacktheit sah, eilends vor Gott verbarg? Soll ich, ähnlich dem alten Adam, anfangen, mich zu rechtfertigen, indem ich die Schuld auf die Gründe der Sünde schiebe? – Vergeblich ist es, sich vor dem Allsehenden zu verbergen! Vergeblich ist es, sich vor Dem zu rechtfertigen, Der recht bleibt in Seinem Richten (Ps 50 [51], 6).
Ich will mich lieber statt mit Feigenblättern mit den Tränen der Reue und Umkehr bedecken; statt Rechtfertigungen will ich ein aufrichtiges Geständnis bringen. Bekleidet mit Reue und Tränen, werde ich vor meinem Gott stehen. Aber wo werde ich meinen Gott finden? Im Paradies vielleicht? Aber von dort bin ich vertrieben, und die Cherubime, die am Eingang stehen, lassen mich nicht ein! Mit der ganzen Schwere meines Körpers bin ich an die Erde angenagelt, die mein Gefängnis ist!
Doch fasse Mut, du sündiger Nachkomme Adams! Licht erglänzte in deinem Gefängnis: Gott kam hernieder in das talgründige Land deiner Vertreibung, um dich empor zu führen in dein verlorenes himmlisches Vaterland! Du wolltest das Gute wie das Böse erkennen: Er belässt dir dieses Wissen. Du wolltest sein wie Gott, und so machtest du dich der Seele nach dem Teufel ähnlich, dem Leibe nach aber dem Vieh und wilden Tieren. Nun macht dich Gott, Der sich mit dir vereint – zu Gott aus Gnade. Er vergibt dir deine Sünden. Aber auch das ist noch nicht genug! Er reißt auch die Wurzel des Bösen aus deiner Seele, diese ansteckende Sündenkrankheit, dieses Gift, das durch den Teufel in die Seele eingeflößt wurde, und Er schenkt dir das Heilmittel für den ganzen Weg deines irdischen Lebens, zur Genesung von der Sünde, sooft du auch von ihr angesteckt werden magst durch deine Schwachheit. Dieses Heilmittel ist das Bekenntnis der Sünden – die Beichte.
Willst du dich des alten Adam entkleiden, du, der du durch die Heilige Taufe schon in den Neuen Adam eingekleidet bist, aber durch eigene Übertretungen die Hinfälligkeit und den Tod hast aufleben lassen, das Leben betäubt hast, es halbtot werden lassen? Möchtest du, der Sklave der Sünde, der zu ihr hingerissen wird durch den Zwang der Gewohnheit, die Freiheit und Gerechtigkeit zurückgewinnen? - dann versinke in der Demut. Besiege die falsche und eitle Scham, die dich lehrt, dich heuchlerisch und hinterlistig als einen Gerechten hinzustellen und dadurch nur den seelischen Tod aufrechtzuerhalten, ja zu festigen. Speie sie aus – die Sünde! Befehde sie stets – durch die aufrichtige Sündenbeichte. Diese Heilung soll allem anderen vorausgehen; ohne Beichte und Bekenntnis bleibt die Heilung durch das Gebet, Tränen, Fasten und allen anderen Mitteln ungenügend, unbefriedigend, wird nicht dauerhaft sein. Geh, du Hochmütiger, zu deinem Beichtvater und finde zu seinen Füßen die Barmherzigkeit des himmlischen Vaters!
Einzig- und allein die aufrichtige und häufige Beichte kann von sündhaften Gewohnheiten befreien, die Reue fruchtbar, die Besserung dauerhaft und echt machen.
In einer kurzen – und so seltenen! - Minute der Rührung, in der sich die Augen der Vernunft für die Selbsterkenntnis öffnen, schrieb ich dies auf - zur Selbstbeschuldigung und Ermahnung, um mich zu ermahnen und zu belehren. Du aber, der du im Glauben und mit Liebe für Christus diese Zeilen liest, und in ihnen vielleicht etwas Nützliches für dich findest, bringe einen Seufzer des Herzens und ein Gebet für die Seele, die von den Stürmen der Sünde viel gelitten, die so oft Untergang und Verderben gesehen, und einzig Ruhe gefunden hat in diesem stillen Hafen: dem Bekennen ihrer Versündigungen.