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Kathedrale der Hll. Neumärtyrer und Bekenner Russlands in München

der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland

Landeskonzil der Russischen Orthodoxen Kirche 2009

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Die Publikation der Dokumente und Diskussionsbeiträge der Teilnehmer am Landeskonzil 2009 steht noch bevor.  Es liegt mir fern, dem durch einen eigenen Bericht vorzugreifen, oder gar Bewertungen und Empfehlungen abzugeben. Dieser Artikel stellt lediglich die Meinung eines Teilnehmers an diesem ersten Landeskonzil im 21. Jahrhundert der nunmehr geeinten Russischen Kirche dar, und einen Versuch, gewisse Fragen aufzuzeigen, die sich uns im Laufe der konziliaren Arbeit sowie in den nachfolgenden Diskussionen stellten.

Das Landeskonzil, das in Moskau im Januar 2009 stattfand, rief ein großes Interesse und die verschiedensten Meinungen hervor, vor allem auch unter den Gläubigen der Russischen Auslandskirche. Da die unterschiedlichen Bewertungen dieses Konzils weitgehend mit den Hoffnungen verbunden sind, die auf das Landeskonzil gesetzt wurden, lohnt es sich, einige Fragen zu klären, die die Rolle des Landeskonzils als solchem in der Russischen Kirche betreffen, d. h. was man von dem Konzil des Jahres 2009 erwarten durfte, und was nicht – welches also seine Funktion war.


Diese Aufgabe führt uns sofort zum Thema „Landeskonzil von 1917-18“. Dieses ist bis heute in der Geschichte der Russischen Kirche einzigartig; keines kommt ihm gleich, schon deshalb, weil die Möglichkeiten einer entsprechenden Vorarbeit fehlten. Die Konzilien, in denen die Patriarchen der Stalinzeit sowie unter  Breschnew gewählt wurden, sind in diesem Zusammenhang ohnehin keiner Rede wert. Auch das Konzil von 1990, das den heiligsten Patriarchen Alexij II. wählte, konnte auch nicht diesem Urbild eines Landeskonzils entsprechen. Später wurde die Bestimmung der Satzung der Russischen Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat) von 1988, ein Landeskonzil sei alle fünf Jahre zu versammeln, nicht erfüllt – aus einer Reihe von Gründen, deren Analyse einer eigenständigen Forschungsarbeit bedürfte. Hier genügt es anzumerken, dass die Oberste Kirchenverwaltung bei ihrem Verzicht auf ein Landeskonzil offensichtlich von dem Bestreben geleitet war, in einer Zeit des Umbruchs, des Unfriedens und der Instabilität Frieden und Stabilität in der Kirche zu bewahren.

Es ist bekannt, wie weit die Meinungen bezüglich des Landeskonzils von 1917-18 auseinandergehen. Das Landeskonzil gilt als höchste Instanz in der Russischen Kirche, aber die Entscheidungen und Entschließungen des Konzils von 1917-18 gelten heute nicht als verpflichtend und werden selten in der Praxis angewandt. Manche halten eine solche Loslösung der Kirche von der eigenen Tradition für seltsam und unzulässig, andere dagegen meinen, dieses "revolutionäre" Konzil gehöre auf die Müllhalde der Geschichte. Natürlich gibt es auch den dritten Standpunkt, die Wahrheit liege in der Mitte, die Akten dieses Konzils seien genauer zu studieren, um zu klären, welche von ihnen für die Kirche weiterhin bedeutsam sind, und um das auszusondern, was offensichtlich durch vorübergehende politische Stimmungen und Einflüsse bedingt ist.

Wie dem auch sei, eines steht fest: Selbst die grundlegenden konziliaren Normen sind infrage gestellt. Es wäre unmöglich, sie jetzt ohne substantielle Veränderungen anzuwenden. Das kirchliche Bewusstsein fordert ihre Neuordnung, zugleich aber ist es selbst offensichtlich nicht reif für die erforderliche echte und leidenschaftslose Neuordnung. Als Ergebnis haben wir Übergangslösungen, und so erscheint auch das Konzil von 2009 als ein solcher Übergang.

Die Idee eines Landeskonzils wurde also nicht voll verwirklicht. Das hatte Auswirkungen auf die allgemeine kirchliche Atmosphäre. Angesichts der Kritik wegen der Nichteinhaltung der gebotenen Satzungsnorm, änderte das Bischofskonzil vom Jahre 2000 diesen Teil der Satzung. Die Norm wurde aufgehoben, und das Bischofskonzil übernahm eine Reihe von Funktionen des Landeskonzils, womit es dessen Kompetenzen beschränkte und die Akzente anders setzte. Dies führte von neuem zu Vorwürfen seitens radikal eingestellter Kreise, die kirchlich-konziliaren Grundlagen seien angegriffen worden. Das Argument lautete, derartige Veränderungen durchzuführen, gebühre wiederum nur dem Landeskonzil.

Indes nahm das Landeskonzil von 2009 diese Änderung ebenso an, wie auch alle anderen Satzungsänderungen. Somit wurde unter die 18 Jahre des Dienstes des heiligsten Patriarchen Alexij II. ein Schlussstrich gezogen. Allgemeine Grundlinien eines Zukunftsprogramms wurden entworfen.

Was die Idee des Landeskonzils aus der Sicht der Russischen Auslandskirche betrifft, so wurde in der gesamten Sowjetzeit, der Zeit erzwungener Trennung, die Hoffnung auf ein künftiges freies Allrussisches Konzil geäußert. Aber wie ein solches zusammengerufen und durchgeführt werden sollte, darüber gab es keine detaillierten, vielmehr abstrakte Vorstellungen, und es war entsprechend nicht ganz klar, ob es nun ein Bischofskonzil oder ein Landeskonzil werden sollte. Wenn sich also einige ein Konzil nach dem Vorbild von 1917-18 vorstellten, so bei weitem nicht alle.

In der nachrevolutionären Epoche zeigte sich innerhalb der Russischen Kirche – im Moskauer Patriarchat und in der Russischen Auslandskirche – ein eigentümlicher Parallelismus, was die Rolle der Kleriker und der Laien betraf: Der Oberste Kirchenrat, in dem gewählte Vertreter der Laienschaft an der Kirchenleitung teilnahmen, verschwand in der Russischen Auslandskirche 1922 unwiederbringlich. Das Bischofskonzil der Russischen Auslandskirche übernahm die Gesamtverantwortung für die Kirchenleitung und wählt seitdem aus der eigenen Mitte ihre Bischofssynode und den Ersthierarchen. Es kam in der Russischen Auslandskirche niemandem in den Sinn, Kleriker und Laien sollten oder könnten an der Wahl des Kirchenoberhaupts teilnehmen. Bei den All-Diaspora-Konzilien hatten sie stets eine beratende Stimme, während die Entscheidungsbefugnis den Bischöfen vorbehalten war. Insgesamt gab es von 1920 bis 2006 vier solche All-Diaspora-Konzilien – von einer regelmäßigen Zusammenkunft brauchte man gar nicht zu träumen. Im Moskauer Patriarchat verschwand der Oberste Kirchenrat im gleichen Jahre 1922, wenn auch aus anderen Gründen.

Die Wiederherstellung der kanonischen Gemeinschaft zwischen dem Moskauer Patriarchat und der Auslandskirche bedurfte, wie sich herausstellte, keines Allrussischen Kirchenkonzils. Das Bischofskonzil des Moskauer Patriarchats übertrug einfach der geheiligten Synode die Vollendung des bereits begonnenen Prozesses der Wiedervereinigung der zwei Teile der Russischen Kirche. Eine qualifizierte Lösung der historischen und kanonischen Probleme, die mit der Trennung verbunden waren, bedurfte keiner Teilnahme von gewählten Klerikern und Laien auf der russischen Seite. Dies wäre auch deshalb kaum angebracht, da das Thema der Trennung dem Kirchenvolk in Russland wenig bekannt ist. Damit stellt sich die Frage nach der Leitung in der Kirche, nach der genuinen Führung. Zwar ist diese Frage grundsätzlicher und umfassender als nur das praktische Problem der Wiedervereinigung – aber an diesem Beispiel kann man die Führungsproblematik doch gut spüren. Jedenfalls sehen wir, dass der Vereinigungsprozess sich erfolgreich entwickeln und vollendet werden konnte unter den Bedingungen, die sich in beiden Teilen der Russischen Kirche aus der Praxis ergeben hatten.

Im Übrigen brauchte die Russische Auslandskirche im Vorfeld der Wiedervereinigung sowohl eine allgemeine Pastoralversammlung, zu der die Hälfte aller ihrer Priester angereist waren, wie auch – anderthalb Jahre später – das All-Diaspora-Konzil, an dem Kleriker und Laien teilnahmen. Auf das Allgemeine Konzil in San Franzisko aber folgte, wie gewohnt, das Bischofskonzil. Natürlich hörten die Hierarchen, die am All-Diaspora-Konzil teilnahmen, sehr genau hin und achteten auf die Meinungen und Einstellungen der Delegierten, der Kleriker und Laien, aber sie waren in ihren Entscheidungen von ihnen nicht abhängig.

Wenn die am All-Diaspora-Konzil teilnehmenden Delegierten nach bestimmten Regeln gewählt wurden, so ist im Moskauer Patriarchat das genaue Procedere einer Wahl bis jetzt nicht ausgearbeitet. Ebenso ist auch die Struktur einer Gemeinde nicht vollständig geklärt. Von einem rein rechtlichen Standpunkt war die Wahl von Delegierten zum Landeskonzil undurchsichtig. Aber weil das Landeskonzil von 2009 eiligst zusammengerufen werden musste (50 Tage nach dem Ableben des Patriarchen), gelang es auch in der Auslandskirche bei weitem nicht überall, Diözesanversammlungen zu organisieren und ordentliche Wahlen durchzuführen. (Die deutsche Diözese erwies sich deshalb als eine der wenigen Ausnahmen, weil hier die Diözesanversammlung bereits seit geraumer Zeit für Ende Dezember geplant war.) Somit wäre es nicht recht, irgendjemanden in Russland des Bruchs konziliarer Normen zu bezichtigen.

Ursprünglich waren während des Konzils von 2009 neun Plenarsitzungen vorgesehen. Tatsächlich wurde die Arbeit früher als die vorgesehenen drei Tage abgeschlossen, dann nämlich, als die Fragen behandelt waren, die das Konzil zu behandeln in der Lage war. Die Kirche in Russland steht zwar vor vielen weiteren aktuellen Problemen, die einer Behandlung durch ein Landeskonzil bedürften, aber es ist durchaus gerechtfertigt, dass dieses Landeskonzil sie nicht in Angriff nahm – eben weil es hierfür nicht ausreichend vorbereitet war.

Es ist daran zu erinnern, dass die Vorbereitung des Konzils von 1917-18 im Juni 1905 begann, als der Heiligste Synod die Diözesanbischöfe (damals gab es 66) anwies, ihre Vorstellungen zu folgenden Fragen des kirchlichen Lebens darzulegen:

1) Zusammensetzung des künftigen Konzils (Rechte und Vollmachten der Teilnehmer);
2) Territoriale Aufteilung der Kirche in Zukunft (Metropolitankreise);
3) Kirchenverwaltung (Zentralisierung, Dezentralisierung);
4) Rolle der Geistlichkeit im bürgerlichen Leben;
5) Kirchliche Gerichtsbarkeit (Verhältnis zum bürgerlichen Gesetzbuch, Ehe);
6) Neuordnung der Diözesanverwaltung;
7) Gemeindeleben;
8) Kirchliches Eigentum;
9) Fragen des Glaubens und der Beziehungen sowohl zu anderen orthodoxen als auch zu heterodoxen Christen; Fastenzeiten, Gottesdienste, kirchliche Disziplin.

Für die Erstellung der Berichte war ein halbes Jahr vorgesehen. Danach gründete der Heiligste Synod einen Konzilsvorbereitungsausschuss, der die dem Landeskonzil vorzulegenden Fragen weiter ausarbeiten sollte. Der Ausschuss bestand aus sieben und später auch zehn Bischöfen, darüber hinaus aus einer Reihe von hochkarätigen Spezialisten für Kirchenrecht und Kirchengeschichte (insgesamt mehr als 20 Professoren), denen alsbald weitere – durch ihre kirchliche Aktivität besonders bekannte – Laien hinzugefügt wurden. Die Fragen wurden in Arbeitsgruppen behandelt und die Ergebnisse dem Plenum vorgetragen. Die Materialien des Vorbereitungsausschusses wurden in den Jahren 1906-1907 publiziert, und auf deren Grundlage wurde 1912 die Arbeit durch eine Vorkonziliare Konferenz fortgesetzt. Die von dem Ausschuss und der Konferenz erarbeiteten Dokumente wurden vom Vorkonziliaren Rat benutzt, der nach der Februarrevolution durch einen Beschluss des Synods ins Leben gerufen worden war. Zur gleichen Zeit bestimmte der Synod, umgehend das Allrussische Konzil vorzubereiten, das am 15. August 1917 eröffnet wurde.

Die Mitglieder des Konzils wurden in den Gemeinden, Klöstern, Dekanaten und Diözesen gewählt. Die Wahlen waren dreistufig für die Laien und zweistufig für die Vertreter des Mönchsstandes und der weltlichen Priesterschaft. Alle aktiven Gemeindemitglieder, alle Klosterbewohner, alle Kleriker nahmen an den Wahlen teil. Konzilsteilnehmer waren 72 Hierarchen, sowie  gewählte 192  Kleriker (darunter zwei Protopresbyter, 17 Archimandriten, 2 Äbte, 3 Priestermönche, 72 Erzpriester, 65 Gemeindepriester, 2 Erzdiakone und 8 Diakone) und 299 Laien. Im Laufe eines Jahres arbeitete das Konzil in drei Sitzungsperioden mit insgesamt 170 Sitzungen an der Neuordnung des russischen kirchlichen Lebens. Man bedarf allerdings mehr als eines Jahres, um alle Resultate dieser umfänglichen Arbeit im Detail zu bewerten.

Vor diesem Hintergrund durfte man von dem jetzigen Landeskonzil gar nicht allzu viel erwarten. Enttäuschung darüber, dass es eiligst zusammengerufen wurde, ist ebenfalls nicht angebracht. Besonders in Russland, wo die Rolle der Person des Patriarchen äußerst groß ist. Es wäre kaum vernünftig, einen so großen und für das Land wichtigen Organismus wie die Kirche ohne ein mit allen Vollmachten ausgestattetes Oberhaupt zu belassen. Deshalb war die Wahl des Patriarchen vorrangig. Allenfalls an ein künftiges, nicht aber an dieses Landeskonzil konnte man die Forderung richten, „vorkonziliare Konferenzen in den Diözesen zu bilden, die Vorschläge an das Konzil erarbeiten sollten, welche jeweils die Kirche eben dieser Diözese bewegen, so dass der gesamtkirchliche Vorkonziliare Ausschuss diese Vorschläge zusammenfassen und dann den Tätigkeitsumfang des Landeskonzils bestimmen könnte“ (aus einer privaten schriftlichen Reaktion auf das Konzil von 2009).

Vielen ist aufgefallen, dass dieser Wahl des heiligsten Patriarchen von Moskau und ganz Russland eine Art Wahlkampfaktivität vorausgegangen ist, wie sie eher weltlichen politischen Kampagnen eigen ist. Gleichzeitig ist offensichtlich, dass dies keine wesentliche Rolle gespielt hat – das Resultat der Wahlen war leicht vorauszusehen. Dasselbe erwies auch die absolute Mehrheit der Stimmen, die den Patriarchatsverweser, den Metropoliten Kirill, zum Favoriten der Wahl des Bischofskonzils machte. Die Hierarchen wählten aus ihrer Mitte denjenigen, den sie für am meisten befähigt hielten, die Bestrebungen der Russischen Kirche unter den heutigen Bedingungen zum Zuge zu bringen.

Das Bischofskonzil sollte dem Landeskonzil drei Kandidaten anbieten. Gemäß der Wahlordnung im Bischofskonzil sollte bei einem Verzicht auf die Kandidatur der jeweils nächstfolgende, was die Stimmenzahl betrifft, aufrücken und den Platz des Ausgeschiedenen einnehmen. Das Landeskonzil konnte seinerseits zusätzliche Kandidaturen aufstellen. Es genügte, einen Namen zu benennen – was jedem Konzilsteilnehmer freistand – und sofern 25 Teilnehmer die Kandidatur unterstützten, sollte dieser Name in die Liste eingetragen werden. Dann sollte in geheimer Wahl bestimmt werden, wer von den Kandidaten mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen kann. Hierbei wäre es möglich gewesen, mehrere Namen anzukreuzen, so dass theoretisch mehrere Personen die erforderlichen 50 Prozent bekommen konnten, es sei denn, dass in der Zeile „unterstütze keinen der Kandidaten“ mehr als 50 Prozent der Konzilsteilnehmer ihr Kreuzchen gesetzt hätten. Diejenigen Hierarchen, die die absolute Mehrheit erreichen würden, würden dann den drei Kandidaten des Bischofskonzils hinzugefügt. Hernach ist jeder der Kandidaten (auch die drei vom Bischofskonzil gewählten) berechtigt, seine Kandidatur zurückzuziehen.

Rein theoretisch konnte also das interne bischöfliche Votum gekippt werden durch die Wahl der 500 Kleriker, Vertreter des Mönchsstandes und der Laien im Landeskonzil selbst. Natürlich war diese Variante äußerst unwahrscheinlich, aber unmöglich war sie nicht.

Die Erfahrungen mit der Aufstellung zusätzlicher Kandidaten und der Dauer der Wahlen des Ersthierarchen im Landeskonzil von 1990 schreckte wohl diejenigen ab, die dies seinerzeit erlebt hatten ­– man erzählt, dass damals die Sitzung bis tief in die Nacht hinein dauerte und nur der Verzicht des damaligen Patriarchatsverwesers auf die Kandidatur aus der verfahrenen Situation herausführte. Die Teilnehmer des Landeskonzils von 2009 wollten sich ganz offensichtlich nicht nochmal einer solch langwierigen Prozedur unterziehen. Der Vorschlag, das Los entscheiden zu lassen, wurde gemacht, als das Konzil sich nicht mit der Wahlordnung beschäftigte, sondern mit der Festlegung der Tagesordnung. Er wurde zurückgestellt und später verworfen. In der Diskussion über die Wahlordnung wurde vorgeschlagen, sich auf die drei Kandidaten zu beschränken, die bereits vom Bischofskonzil aufgestellt worden waren, und keine neuen zu benennen – dieser Vorschlag wurde angenommen.

Daraufhin zog der Metropolit von Minsk und Sluck, Filaret, seine Kandidatur zurück. Später erklärte Vladyka Filaret dies mit dem Wunsch, einen zweiten Wahlgang zu vermeiden. Formal verstieß dieser Rückzug nicht gegen die Wahlordnung. Aber er folgte unmittelbar auf den Beschluss, die Zahl der Kandidaten auf die drei vom Bischofskonzil benannten zu beschränken, und die so plötzlich erfolgte Wendung rief bei manchen Teilnehmern des Konzils Unbehagen hervor.

Zur Wahl blieben also zwei Kandidaten – der Metropolit Kirill und der Metropolit Kliment. Das Wahlergebnis wurde erst fünf Stunden später verkündet, um 22.00 Uhr Moskauer Zeit. Wenn die letzte Stunde einfach nur von der Erwartung des Ergebnisses ausgefüllt wurde, so fand bis zum abendlichen Tee, der das Abendessen ersetzte, eine sehr lebendige Diskussion statt. Nicht zuletzt ging es darum, ob die praktische Verwirklichung der Wahlordnung dem konziliaren Geist entspricht – und hier wurde resolute Kritik laut. Der Patriarchatsverweser, Metropolit Kirill, der den Vorsitz im Konzil führte, äußerte den Wunsch, niemand solle das Konzil enttäuscht verlassen. Er unterstrich seine Bereitschaft, aufs Neue an die Wahl heranzugehen, und schlug vor zu klären, wie stark der Wunsch der Anwesenden ist, die Kandidatenliste zu erweitern. 16 Personen, darunter einige Bischöfe, meldeten sich, aber zahllose Hände erhoben sich in der Option „dagegen“.

Eine große Mehrzahl wollte die Wahlen nicht aufhalten. Man darf wohl zu Recht annehmen, dass die 23 ungültigen Wahlzettel die Unzufriedenheit mit dem Ablauf der Wahl als solchem widerspiegelt. Zugleich zeigt diese Zahl, wie gering die Wahrscheinlichkeit war, dass irgendwelche zusätzliche Kandidaten die nötigen 25 unterstützenden Stimmen erhalten konnten, geschweige denn, dass sie nach vorn hätten gelangen können.

Aber die nachfolgende Diskussion im Konzil zeugt davon, dass künftig eine solche Einschränkung des Rechtes, zusätzliche Kandidaten aufzustellen, nicht wünschenswert ist. Es geht hier um die Einstellung zum Wahlvorgang als solchem. Die grundsätzliche Bereitschaft des Metropoliten Kirill, die Situation neu zu überdenken, zeigt sein Verständnis für diesen Aspekt.

In diesem Zusammenhang lohnt es sich vielleicht, sozusagen für die Zukunft, einige Überlegungen anzuführen, die von verschiedenen Teilnehmern des Konzils im Laufe des Austauschs geäußert wurden.

Erstens. Es standen zwar nur 16 Personen auf, eine verschwindende Minorität. Aber sie stand ein für ein wichtiges Prinzip – das Recht des Landeskonzils auf Erweiterung der Kandidatenliste. Das Konzil hätte sich ihnen gegenüber anders verhalten können und der Minorität gestatten, die gewünschten Kandidaten zu benennen. Tatsächlich wird hier nämlich eine völlig andere – nachfolgende – Etappe der Wahlen eröffnet. Einmal beim Namen genannt, kann der eine oder andere potentielle Kandidat in der nächsten Etappe die nötige Anzahl der Stimmen durchaus erhalten. Und ein solcher Vorgang entspricht der gebotenen allmählichen Klärung des konziliaren Willens. Mag dies auch als allzu feinfühlig und noch dazu unpraktisch erscheinen, aber eine solche grundsätzliche Einstellung würde sich mit Sicherheit positiv auf die Diskussionsatmosphäre auswirken und die Arbeit im schöpferisch-konziliaren Geiste eher fördern, als eine Ausrichtung nur auf den Willen der überwältigenden Mehrheit. Bei einem Mangel an wohlwollender und freundschaftlicher Atmosphäre ist mit einem Verzicht würdiger Kandidaten auf die aktive Teilnahme an den Wahlen zu rechnen, was wenig förderlich wäre.

Eine zweite Überlegung, die damit verbunden ist: Wenn die Ordnung angenommen ist, bei der das Bischofskonzil drei Kandidaten für die Patriarchen-Wahl benennt, und so im Landeskonzil das Recht gibt, die endgültige Wahl zu treffen und sogar die Liste zu erweitern, dann wäre es logisch, bei der Benennung der drei Kandidaten die Anzahl der auf sie entfallenden Stimmen nicht zu publizieren. Wenn das Landeskonzil detailliert darüber Bescheid weiß, wen das Bischofskonzil vorzieht, dann kann es dies kaum ignorieren. Das natürlichste ist dann wohl für die Teilnehmer des Landeskonzils – der Verzicht auf ihr Recht, zusätzliche Kandidaten vorzustellen, und die Annahme der Wahl der Hierarchen, so wie es dieses Landeskonzil mit der Mehrheit seiner Stimmen tat. Aber in einem solchen Fall erweist sich das "Wahlrecht", das die Kleriker, Mönche und Laien innehaben, als überflüssig.

Es besteht aber tatsächlich eine kanonische Unstimmigkeit allein schon in der Möglichkeit, wie theoretisch sie auch immer sein möge, dass die Laien und Kleriker mit dem Mönchsstand die von den Hierarchen gewünschte Wahl zurückweisen und mit ihrer Mehrheit der Stimmen ihre eigene aufzwingen. Es kann doch nicht sein, dass ein Laie oder Diakon, ein Priester oder ehrwürdiger Erzpriester ja selbst ein Archimandrit bei der Wahl des Ersthierarchen mit einem Metropoliten, Erzbischof oder Bischof die gleiche Stimme hat. In der alten Kirche wurde "die Stimme des Volkes" im Prozess der Wahl einbezogen (wir sehen das am Beispiel der Wahl und der Einsetzung eines Bischofs), aber nur, was die Eigenschaften und Fähigkeiten der möglichen Kandidaten betraf. Das eigentliche Recht der Wahl gehörte dem Konzil der Bischöfe des Kirchenkreises.

Den kirchlichen Kanones entsprechend, wählen die Hierarchen den Ersten unter ihnen aus ihrer Mitte, den Ersthierarchen des Bischofskonzils (Apost. 34, Antioch. 9 und 19, I. Ökum. 4 etc.). Dem Geist dieser Kanones würde viel mehr eine Ordnung entsprechen, gemäß der nicht das Bischofskonzil dem Landeskonzil die Anwärter für die endgültige Wahl anbietet, sondern umgekehrt das Landeskonzil, das die Bischöfe mit einschließt, die Kandidaten auf den Thron des Ersthierarchen vorstellt, wonach das Bischofskonzil – die Stimmen des Klerus, des Mönchsstandes und der Laien einbeziehend – seine eigene Wahl trifft. Die Hierarchen können die Liste des Landeskonzils ergänzen oder ändern, aber in jedem Fall wählen sie selbst den Ersten aus ihrer eigenen Mitte – ob nun mit  Einbeziehung des Loses, oder ohne.

Drittens. Die Reduzierung der Kandidatenanzahl wird als Einengung der Wahl empfunden. Es ist so gedacht, dass das Bischofskonzil von Anbeginn nicht weniger als drei Kandidaten vorstellt, und das Landeskonzil diese Liste dann noch erweitern kann. Ist dieses ursprüngliche Ansinnen begründet, dann sollte wohl auch das Landeskonzil eine Kürzung dieses Minimums vermeiden. Wenn das Konzil keine Notwendigkeit sieht, zusätzliche Kandidaten aufzustellen, dann sollte – im Lichte der ursprünglichen Absicht – die Liste notwendigerweise ergänzt werden in dem Fall, wenn aus irgendwelchen Gründen die Liste auf weniger als drei Anwärter schrumpft. Dieses Problem verschwindet von selbst bei deren Ordnung, gemäß der das Landeskonzil die Kandidaten aufstellt und das Bischofskonzil die endgültige Wahl trifft.

Viertens. Wenn vorausgesetzt wird, dass die Mitglieder des Landeskonzils ihre Wahl vor Ort treffen, frei und nur ihrem Gewissen verpflichtet, also ohne eine Verpflichtung, den einen oder anderen Kandidaten vorzuziehen – weshalb ja auch die Wahl eine geheime ist –, dann ist jegliche Art von Wahlagitation im Konzil fehl am Platz. Und wenn gemäß der vom Konzil angenommenen Wahlordnung (Moskau, 27-29 Januar 2009, § 2. a) der mündliche Vorschlag einer Kandidatur "keine Argumente zu Gunsten des vorgeschlagenen Kandidaten enthalten darf, ebenso wie keine öffentliche Diskussion seiner Person stattfinden darf" – dann kann auch ein Verzicht auf die eigene Kandidatur nicht „zugunsten“ dieses oder jenes Kandidaten verkündet werden.

Eine fünfte Überlegung betrifft die Frage der gleichen Bedingungen für alle Kandidaten. Gleich sehen sie nicht aus, wenn einer von ihnen beauftragt wird, im Landeskonzil den Vorsitz zu führen – wie bescheiden und korrekt sein Verhalten auch immer sein mag, er steht per definitionem mehr als die anderen im Zentrum des Geschehens und hat zugleich einen größeren realen Einfluss auf den Ablauf des Konzils (speziell auch, wenn die Tagesordnung keine eigenen Auftritte der Kandidaten vorsieht). In dem Fall jedoch, wenn das Landeskonzil die Kandidaten kürt, die eigentliche Wahl aber das Bischofskonzil später trifft, hebt sich das Problem ebenfalls auf.

Die sechste Überlegung bezieht sich auf das Los. Die Wahl aus drei Kandidaten durch das Los hat den Vorteil, dass sie eine überhitzte „Wahlkampagne“ vermeiden hilft. Die Anwendung des Loses bremst von vorneherein die möglichen machthungrigen Bestrebungen der einen oder anderen Gruppe, die den Sieg des "eigenen" Kandidaten durchzusetzen versuchen.

Die letzte und siebte Überlegung richtet sich auf den Fall, dass die Aufgabe des Landeskonzils nicht nur in der Wahl des Ersthierarchen besteht, sondern auch in der Behandlung anderer Fragen der Kirchenordnung und des kirchlichen Lebens. Hier scheint es vernünftig, erst diese Fragen zu diskutieren, die Wahlen aber später durchzuführen. Das würde den Konzilteilnehmern die Möglichkeit geben, einander näher kennen zu lernen und in der konkreten Arbeit ein Gefühl für einander zu entwickeln, was die Aufstellung der Kandidaten durch das Konzil begründeter und bewusster werden ließe.

Zum Abschluss sei nochmals gesagt: Ziel dieses Landeskonzils von 2009 konnte nur der Abschluss der vorangegangenen Periode des kirchlichen Lebens sein und die Wahl eines neuen Oberhaupts der Russischen Kirche. Alle anderen Themen bedurften einer größeren Vorbereitung, die das Konzil nicht hatte. Eine Diskussion wichtiger und aktueller Fragen ohne tief gehende vorherige Analysen hätte wohl nur zu allgemeinen Gesprächen führen können, im schlimmeren Falle aber zu fruchtlosen Auseinandersetzungen.

Es sei jedoch angemerkt, dass von einer Aufhebung des Landeskonzils als einem solchen im Konzil von 2009 keine Rede war; im Gegenteil, mehrfach war von der Notwendigkeit die Rede, dass man baldmöglichst beginnen sollte, sich zu einem neuen Konzil zu rüsten, und dafür Arbeitsgruppen und Kommissionen bilden sollte. Wie verschieden auch immer die Teilnehmer des Landeskonzils von 2009 das Konzil von 1917-18 bewerten mochten, viele erinnerten sowohl an den einstigen Fragebogen, als auch an die Vorkonziliaren Ausschüsse und Konferenzen. Es wurde klar, dass die Zeit gekommen ist, die Rolle des Bischofskonzils einerseits und die Kompetenzen der übrigen Teilnehmer des Landeskonzils – der Kleriker, des Mönchsstandes und der Laien – andererseits neu zu überdenken und zu bestimmen. Der neu gewählte Patriarch sprach sich am Ende der Diskussion nicht nur eindeutig für die Notwendigkeit einer guten Vorbereitung des künftigen Landeskonzils aus, das nicht mit der Wahl eines Kirchenoberhauptes verknüpft wäre, sondern sagte auch, dass er es nicht für richtig hielte, das Prinzip seiner regelmäßigen Zusammenkunft aufzugeben.

Das Konzil hat einen höchst aktiven und dynamischen Ersthierarchen mit großer Organisations­erfahrung gewählt, was eine fruchtbare und konkrete Arbeit erwarten lässt, deren die Russische Kirche auf dieser neuen Etappe ihres Lebens durchaus bedarf.

Es gibt keinen Grund, die Rechtmäßigkeit der Beschlüsse des Landeskonzils von 2009 anzuzweifeln. Offensichtlich und eindeutig manifestierte sich hier der Wille eines Konzils, das die gesamte Russische Kirche vertrat. Aber diese umfassend positive Einschätzung des vergangenen Konzils darf eine kritische Aufarbeitung der verschiedenen Aspekte seiner Arbeit nicht ausschließen. Vielleicht – so hoffen wir – kann dieser unbedeutende, die gewonnene Erfahrung widerspiegelnde Versuch auch dem Allerwertvollsten dienen, was wir haben: der Katholizität (Konziliarität, Sobornost‘) des Leibes Christi, in der die Übereinstimmung des Willens der Landeskirche dem guten Willen Gottes beschlossen ist. Gemäß dem Wort des heiligen Apostels:

Er, der hinabstieg, ist derselbe der hinaufstieg über alle Himmel, um das All zu erfüllen. Er ist es auch, der die einen einsetzte als Apostel, die anderen als Propheten, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, um die Heiligen heranzubilden zur Ausübung ihres Dienstes, zum Aufbau des Leibes Christi, bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zur vollen Mannesreife, zum Altersmaß der Fülle Christi; damit wir in der Wahrheit stehend, in Liebe alles aufwachsen lassen hin zu Dem, der das Haupt ist, Christus, von Dem aus der ganze Leib zusammengefügt und zusammengehalten wird durch allerlei fest verbundene Gelenke, wobei ein jedes Glied nach seinem Maß wirkt, und so das Wachstum des Leibes vor sich geht zur eigenen Auferbauung in Liebe. (Eph 4, 10-16)

Erzpriester Nikolai Artemoff

 

 

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